Moraltheologe sieht Glaubwürdigkeit der Theologie gefährdet

Wegen Vatikan-Nein zu Dekan-Wahl

Der Südtiroler Moraltheologe Martin Lintner hat sich zum Veto des Vatikans gegen seine Berufung zum Dekan seiner Hochschule geäußert. Lintner verteidigte Genderforschung gegen Kritik Roms und forderte eine neue kirchliche Sexualmoral.

Martin M. Lintner OSM, Professor für Moraltheologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Brixen / © Harald Oppitz (KNA)
Martin M. Lintner OSM, Professor für Moraltheologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Brixen / © Harald Oppitz ( KNA )

"Die vatikanische Entscheidung gegen mich hat bei vielen Gläubigen nicht nur Unverständnis, sondern auch schwere Irritationen ausgelöst", schreibt er in einer am Montag in Brixen veröffentlichten Erklärung: "Sie weckt Zweifel am Gelingen von Synodalität."

Lintner beruft sich auf "konstruktiv-kritische Loyalität"

Ihm tue es weh, wie so bei vielen Menschen eine kritische bis negative Haltung gegenüber der Kirche bestärkt werde: "Wer mich kennt, weiß um mein Zugehörigkeitsgefühl zur Kirche und um meine konstruktiv-kritische Loyalität zum kirchlichen Lehramt", so der Theologe.

Weltsynode 2021-2024

Mit der Weltsynode hat Papst Franziskus in der katholischen Kirche etwas Neues geschaffen. Erstmals werden bei einer Synode Nicht-Bischöfe und Nicht-Priester im großen Umfang ein Stimmrecht haben, darunter auch Frauen.

Inhaltlich soll es vor allem um neue Wege der Mitwirkung der kirchlichen Basis bei wichtigen Entscheidungen in der katholischen Kirche gehen. Obwohl erstmals auch nicht geweihte Männer und Frauen ein Stimmrecht haben, handelt es sich kirchenrechtlich um eine Bischofssynode.

Eröffnung der Weltsynode im Oktober 2021 / © Vatican Media/Romano Siciliani (KNA)
Eröffnung der Weltsynode im Oktober 2021 / © Vatican Media/Romano Siciliani ( KNA )

Aus früheren Erfahrungen könne er sagen, dass Fälle wie seiner keine individuellen seien, sondern dass es sich um ein institutionelles Problem handle.

Am vergangenen Montag hatte die Philosophisch-Theologische Hochschule (PTH) Brixen mitgeteilt, die vatikanische Bildungsbehörde erkenne die Wahl Lintners wegen dessen Veröffentlichungen über Sexualethik nicht an.

Nötiges"Nihil obstat" nicht erteilt

Sie habe nicht das notwendige "Nihil obstat" ("Nichts steht dagegen") erteilt, eine Art Unbedenklichkeitserklärung. Seine kirchliche Lehrbefugnis sei davon nicht betroffen.

Der Theologe selbst sowie Ortsbischof Ivo Muser, der auch Großkanzler der Hochschule ist, verzichteten auf förmlichen Widerspruch gegen die Entscheidung. Bis zu einer Neuwahl bleibt nun der bisherige Dekan Alexander Notdurfter im Amt.

Die Vatikan-Entscheidung habe "enorme Reaktionen in Südtirol, im gesamten deutschen Sprachraum und mittlerweile auch in Italien und weit darüber hinaus ausgelöst", so Lintner, der seit 2011 ordentlicher Professor für Moraltheologie in Brixen ist.

Solidaritätsbekundungen aus aller Welt

"Es erreichen mich täglich unzählige Nachrichten und Solidaritätsbekundungen aus europäischen Ländern, aber auch aus anderen Regionen der Welt", erklärte der Priester, der von 2011 bis 2015 Vizepräsident und Präsident der Europäischen Gesellschaft für Katholische Theologie und von 2017 bis 2021 Vorsitzender der Internationalen Vereinigung für Moraltheologie und Sozialethik war.

"Diese Wertschätzung, Nähe und Zuspruch zu erfahren, ist überwältigend und erfüllt mich mit Demut. Sie tun mir menschlich wohl, da die vatikanische Entscheidung auch mich überrascht und betroffen gemacht hat", so der Professor.

Der Zuspruch aus Politik, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Medien bestätige ihn in dem Bemühen, als Theologe auch eine Brückenfunktion zwischen Kirche und Gesellschaft wahrzunehmen.

Ansatz "lebensrelevanter und leidsensibler" Theologie

Er wolle eine "lebensrelevante und leidsensible Theologie" betreiben, die in konkreten Lebenssituationen und Herausforderungen der Menschen von Bedeutung sei.

Dem Hochschulkollegium der PTH Brixen dankte er für das Vertrauen durch seine Wahl sowie für die Zustimmung durch Bischof Ivo Muser.

"Die negative Antwort seitens der vatikanischen Behörden stellt nicht nur für mich, sondern auch für Bischof Muser und die Hochschule eine Herausforderung dar."

Sorge um "Glaubwürdigkeit der Theologie als Wissenschaft"

Der Bischof habe seiner Bitte entsprochen, nicht gegen die Entscheidung vorzugehen. Er wolle weder die Hochschule noch sich selbst einem möglicherweise langwierigen und nervenaufreibenden Verfahren aussetzen, so Lintner.

Und weiter: "Die teils heftigen und emotionalen Reaktionen seitens der theologischen Vereinigungen sind Ausdruck der berechtigten Sorge um die Glaubwürdigkeit der Theologie als Wissenschaft im Kontext der Universitäten sowie der säkularen Gesellschaft."

Sie zeigten auch deutlich, dass hier "Wut und Ohnmacht" von sehr vielen Kolleginnen und Kollegen durchbrächen, die im Lauf ihrer akademischen Tätigkeit ähnliche Probleme und Hindernisse erlebt hätten: "Diese Probleme sind seit Jahrzehnten ein offenes Geheimnis und bedeuten für die Betroffenen eine Belastung, verbunden mit dem Gefühl von Demütigung, mit emotionalen Verletzungen bis dahin, dass berufliche Karrieren nachhaltig beschädigt wurden."

Institutionelles und nicht individuelles Problem

Darunter könne auch die persönliche Identifikation mit der Kirche leiden. Viele schwiegen darüber aus Angst um ihre theologische Reputation und der Sorge, unter Verdacht einer mangelnden Kirchlichkeit gestellt zu werden.

Es handele sich nicht nur um individuelle Fälle, sondern um ein institutionelles Problem.

In Gesprächen mit Amtsträgern und Mitarbeitern der vatikanischen Glaubens- und der Bildungsbehörde habe er sich zum Sprachrohr für diese Kolleginnen und Kollegen gemacht.

Dennoch Hoffnung auf Vertrauensaufbau

Nach seinem Eindruck sei bei den vatikanischen Behörden ein Problembewusstsein vorhanden und die Notwendigkeit erkannt worden, die Vorgehensweisen zu überarbeiten und Verfahren transparent und fair zu führen, unterstrich Lintner.

Er hoffe, dass sein Fall dazu beitrage, ein Verhältnis des Vertrauens und des Dialogs zwischen Lehramt und akademischer Theologie, zwischen Vatikanbehörden und theologischen Vereinigungen, Fakultäten und Hochschulen aufzubauen.

"Ich bin überzeugt, dass dies dem Geist der Synodalität entspricht, auf den Papst Franziskus die Kirche führen möchte", schloss der Theologe.

Das Papstschreiben "Amoris laetitia"

"Amoris laetitia" (lateinisch "Die Freude der Liebe") ist ein Schreiben von Papst Franziskus an Bischöfe, Priester, christliche Eheleute und Laien vom April 2016. Er fasst darin die Ergebnisse der Weltbischofssynoden von 2014 und 2015 zur Erneuerung der kirchlichen Ehe- und Familienlehre und -seelsorge zusammen.

Papstschreiben "Amoris Laetitia" / © Cristian Gennari (KNA)
Papstschreiben "Amoris Laetitia" / © Cristian Gennari ( KNA )
Quelle:
KNA