Katholische Nachrichten-Agentur (KNA): Herr Erzbischof, Sie sind zurzeit auf Deutschlandreise. Was ist der Grund?
Paolo Pezzi (Erzbischof von Moskau): Mein Besuch ist eng mit der Person Friedrich Joseph Haass verbunden. Ich bin mit dem Moskauer Generalvikar und einigen kürzlich geweihten Priestern hier, um in dieser Woche Haass' Geburtsort Bad Münstereifel zu besuchen. Wir werden eine Messe in seiner Taufkirche feiern und weitere wichtige Stationen seines Lebensweges besichtigen.
KNA: Schon seit 1999 läuft ein Seligsprechungsverfahren für den Arzt, der vor allem wegen seines Einsatzes für Strafgefangene bekannt wurde. Wie ist der aktuelle Stand; gibt es Fortschritte zu vermelden?
Pezzi: Die zuständige Kongregation in Rom hat kürzlich all unsere eingereichten Papiere als Endfassung angenommen. Das bedeutet, dass alles richtig war, was wir bislang gemacht haben. Für uns ist das ein großer Schritt, denn unsere Etappe ist damit abgeschlossen. Nun beginnt die römische Etappe, die wir mit stetem Gebet begleiten werden.
KNA: In Deutschland ist Friedrich Joseph Haass weniger bekannt als in Russland. Wieso verehren ihn die russischen Christen so sehr?
Pezzi: Tatsächlich spielt er im alltäglichen Leben eine große Rolle - nicht nur bei Katholiken, sondern auch bei Lutheranern und Orthodoxen. Besonders in Moskau wirkt seine Arbeit immer noch fort. Als renommierter Arzt des Zarenreiches nutzte er seine Privilegien, um die damals desolaten Haftbedingungen für russische Sträflinge zu verbessern.
Er vertrat die Auffassung: Wenn man sich derart von den Gefangenen entfernt, entfernt man sich von Christus. Zudem machte er sich als Entdecker von Heilquellen im Nordkaukasus einen Namen. Heute sind etliche Schulen, Straßen und Krankenhäuser nach ihm benannt. Sein Grab in Moskau ist zu einer Pilgerstätte geworden.
KNA: Haass mag ein prominenter Vertreter des katholischen Glaubens in Russland sein. Aber welche Rolle spielt die katholische Kirche heutzutage in der russischen Gesellschaft?
Pezzi: In politischer und ökonomischer Hinsicht spielt sie keine Rolle. Was wir aber in die Waagschale werfen können, ist unsere Liebe zu Gott und Jesus Christus. Haass ist ein gutes Beispiel dafür, wie viel man damit bewirken kann.
KNA: Das religiöse Leben in Russland und den Nachbarstaaten ist nicht frei von Konflikten. Zuletzt gewährte der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel - trotz heftiger Proteste aus Moskau - der neuen Orthodoxen Kirche der Ukraine die Eigenständigkeit. Kritiker sprechen von einem Schisma. Was ist Ihre Meinung dazu?
Pezzi: In diese innerorthodoxen Angelegenheiten sollten wir uns nicht einmischen. Das hat auch Papst Franziskus so gesagt, und daran halten wir uns. Dennoch sind wir jederzeit aufgeschlossen für den Dialog mit der orthodoxen Kirche.
KNA: Das Verhältnis der katholischen Kirche in Russland zu den staatlichen Behörden gilt als schwierig. Ein Streitpunkt seit Jahren ist die Rückgabe der nach der Oktoberrevolution von 1917 beschlagnahmten Peter-und-Paul-Kirche in Moskau. Gibt es in dieser Frage inzwischen eine Lösung?
Pezzi: Die Zusammenarbeit mit den Behörden funktioniert von Ort zu Ort unterschiedlich gut. Was die Peter-und-Paul-Kirche anbelangt, sind zwar einige Nebengebäude an uns zurückgegeben worden, die Kirche selbst aber immer noch nicht. Die Rechtslage ist kompliziert, eine Lösung nicht in Sicht. Ohnehin brauchen wir in Moskau dringend eine neue katholische Kirche.
Bei uns in der Kathedrale finden am Sonntag elf Messen statt. Das gleicht einer Bahnhofssituation. Erfreulich ist die Lage dagegen in Sankt Petersburg, wo uns die Stadt sieben Kirchen zurückgegeben hat. Für vier der Gotteshäuser bekommen wir sogar Fördergelder für die Renovierung.
KNA: In vielen Ländern wird derzeit hitzig über das Thema Missbrauch in der katholischen Kirche diskutiert. Gibt es eine ähnliche Debatte auch in Russland?
Pezzi: Wir haben in dieser Angelegenheit nachgeforscht. Bis jetzt ist uns in der russischen Kirche kein einziger Missbrauchsfall bekannt. Aber das ist kein Grund zur Freude. Wir nehmen das Thema sehr ernst und haben zur Vorbeugung Leitlinien für einen korrekten Umgang mit Jugendlichen verabschiedet.
KNA: Eine persönliche Frage: Wie wird ein italienischer Geistlicher eigentlich Erzbischof von Moskau?
Pezzi: Dafür ist ein Deutscher verantwortlich. Papst Benedikt XVI. hat mich 2007 ernannt. Aber ich bin schon seit den 90er Jahren in Russland tätig. Damals wurde ich von meinem Orden, der Priesterbruderschaft der Missionare des heiligen Karl Borromäus, nach Sibirien geschickt. Es gab dort einfach zu wenige Priester.
KNA: Haben Sie denn nach all den Jahren verstanden, wie die russische Seele tickt?
Pezzi: Nein, das habe ich nicht verstanden (lacht). Ein Sprichwortsagt: Russland kann man nicht verstehen, Russland kann man nur lieben.