Münchner Gemeinde gibt Laien das Wort

"So, jetzt können Sie predigen!"

Nach dem Tumult im Erzbistum München und Freising hat sich der Münchner Pfarrer Wolfgang F. Rothe etwas ungewöhnliches überlegt: Anstelle der Predigt des Geistlichen, sind am Sonntag die Gemeindemitglieder zu Wort gekommen.

Symbolbild Verkündigung / © Andreas Kühlken (KNA)
Symbolbild Verkündigung / © Andreas Kühlken ( KNA )

DOMRADIO.DE: "Wer reden möge, der oder die rede!" Solch ein Satz sorgt doch sicher erst mal für Verwirrung in der Messe?

Gertraud Burkert (Gemeindemitglied "Verklärung Christi" München): Wir hatten eigentlich erwartet, dass unser Pfarrer, Dr. Rothe, der sehr aktiv ist, was die Reform der Kirche betrifft, Stellungnahmen abgibt in einer Predigt. Er erklärte aber zu Beginn bereits, dass er auf eine Predigt verzichten wolle. Allerdings setzte er die Aufforderung dazu, man möge doch sich äußern, nicht anstelle der Predigt während des Gottesdienstes, sondern hinterher. Er zog nach dem Gottesdienst aus und kam dann wieder, ohne das Messgewand und sagte: "So, jetzt können Sie predigen." Also er hat es nicht direkt an Stelle der Predigt gesetzt.

DOMRADIO.DE: Viele Gemeindemitglieder haben sich an den Ambo getraut und erzählt, welche Gedanken sie sich zu der aktuellen Situation der Kirche machen. Und auch Sie haben nicht gezögert, in ihrer Kirche eine "Predigt" zu halten. Was hatten Sie Ihrer Kirche zu sagen?

Burkert: Es ging darum unsere Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Es waren weitgehend Frauen, die sich gemeldet hatten und die einfach ihr Entsetzen darstellten. Mir ging es dann stärker darum zu sagen: Was wollen wir noch in der Kirche? Wie geht es weiter? Wie soll die Zukunft aussehen? Nachdem wir ja jetzt in der Erzdiözese eine solche Vielzahl von Kirchenaustritten erleben, die man sich nicht vorstellen konnte.

DOMRADIO.DE: Was wollen Sie denn noch in der Kirche?

Burkert: Nicht nur, dass ich seit 83 Jahren Mitglied dieser Kirche bin. Das ist kein Grund dabei zu bleiben. Aber ich empfinde die Kirche doch immer noch als eine wichtige Gemeinschaft. Wobei ich sage: Auch wenn man außerhalb der Kirche steht, wenn man austritt und trotzdem an Christus glaubt, bleibt man Christin oder Christ. Es hängt nicht von der Kirchensteuerzahlung ab.

Selber zu mir: Es ist eine Gemeinschaft, in der ich viele Menschen kennengelernt habe, die wirklich aus christlicher Überzeugung für die anderen sich einsetzen. Aber ich sehe die Kirche, in der Gemeinde auch die Möglichkeit, auf Menschen zuzugehen, die Hilfe brauchen. Denn gerade ältere Menschen vertrauen der Kirche und ihren Mitgliedern noch am ehesten, wenn es darum geht, Kontakt zu knüpfen oder Zugang zu finden. Und da ist auch Mitgliedschaft in der Kirche ein ganz wichtiger Aspekt.

Zum anderen natürlich - ich bin ja auch Historikerin - ist es für mich interessant, die Kirchengeschichte durchzusehen, dass Kirche schon noch viel schlimmere Krisen erlebt hat.

Gertraud Burkert

"Veränderungen der Kirche kann man nicht von oben anordnen."

DOMRADIO.DE: Wie haben Sie denn als engagierte Münchner Katholikin die letzten Wochen gedacht? Hätten Sie sich ein erneutes Rücktrittsgesuch von Kardinal Marx gewünscht?

Burkert: Er hat den Rücktritt ja schon im vorigen Jahr angeboten und der war abgelehnt worden. Im Grunde ist es so, dass wir einen Rücktritt nicht begrüßen würden, denn Marx ist inzwischen zu einem Vorkämpfer für die Reform der Kirche geworden und es wäre schade, wenn er nicht mehr beteiligt werden könnte.

Natürlich war die Vorstellung des Gutachtens erschreckend. Man hatte schon manches erwartet. Aber jetzt muss ich sagen, weil ich jetzt außerhalb Münchens spreche: Es ist schon erstaunlich. München hat dieses Gutachten in Auftrag gegeben, die Erzdiözese, wohlwissend, dass da nicht nur Schmeichelhaftes für die Kirche steht und dass die Kanzlei sogar moralisch wertet.

DOMRADIO.DE: In der Sonntagsmesse konnten die Laien "predigen". Würden Sie ich mehr solcher Protestaktionen wünschen?

Burkert: Ja, ich finde es auf jeden Fall sehr sinnvoll, dass die Laien und die Frauen sich mehr einschalten. Denn Veränderungen der Kirche kann man nicht von oben anordnen, sondern jede Änderung, jede Reform muss von unten ausgehen, von denen, die bisher wenig zu sagen hatten. Und darum, glaube ich, ist es eine Chance, dass Christinnen und Christen sich jetzt in den Kirchen zusammentun und sagen: Was ist hier schief gelaufen und was muss anders werden? Also ich sehe es positiv und es ist mit ein Grund dafür, dass ich in der Kirche bleibe.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.

Quelle:
DR
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