DOMRADIO.DE: Die Menschen haben einen Job, sind aber wohnungslos. Das müssen Sie, glaube ich, kurz erklären.
Regens Hartmut Niehues (Leiter des Priesterseminars und Ausbildungsverantwortlicher für die Priester des Bistums Münster): Wir kommen im Borromaeum jeden Tag in Kontakt mit Menschen in verschiedenen Notlagen. Wir liegen ganz zentral mitten in Münster und die Menschen wissen, dass man hier Hilfe bekommt. Seit Jahrzehnten gibt es zum Beispiel belegte Brote, die immer herausgegeben werden. Wir haben Flüchtlinge aus Ukraine und aus Syrien bei uns. Wir kooperieren mit dem "Rucksack voll Hoffnung", einer Studenteninitiative, die eine Kleiderkammer anbietet, wo es eine warme Mahlzeit und es Hygieneartikel gibt.
Durch diesen Kontakt mit den Menschen, die in Not sind, haben wir festgestellt, dass die Wohnungsfrage eine ganz brennende, entscheidende Frage ist. In Kooperation mit dem "Haus der Wohnungslosenhilfe" in Münster, das von der Bischof-Herrmann-Stiftung betrieben wird, wollten wir eine Möglichkeit schaffen, damit bisher obdachlose Männer bei uns eine Chance haben. Bei uns kriegen sie ein Dach über dem Kopf. Jeder bekommt ein Zimmer für sich und eine eigene Nasszelle. Sie teilen miteinander Küche und WG-Raum.
DOMRADIO.DE: Die Menschen haben einen Beruf und verdienen Geld, aber das reicht nicht für eine Wohnung - irgendwie erschreckend, oder?
Niehues: Das ist tatsächlich erschreckend, dass Menschen heutzutage ganz normal einer geregelten Arbeit nachgehen und trotzdem auf dem Wohnungsmarkt praktisch keine Chance haben. Einer von ihnen ist zum Beispiel Busfahrer.
DOMRADIO.DE: Die Menschen leben mit den anderen zusammen, haben aber trotzdem private Zimmer. Wieso ist Privatsphäre so wichtig?
Niehues: Stellen Sie sich vor, Sie müssten nach getaner Arbeit ein relativ kleines Zimmer mit vier anderen teilen. Sie hätten auf dem Flur eine Nasszelle und eine Toilette. Ich glaube nicht, dass das tatsächlich erstrebenswerte Wohnverhältnisse sind. Für sich Privatsphäre zu haben, das ist schon ein großes Geschenk.
DOMRADIO.DE: Jetzt soll das Projekt für die vier Menschen auf eineinhalb Jahre beschränkt sein. Bis dahin sollen sie eigene Wohnmöglichkeiten finden. Helfen Sie bei der Vermittlung?
Niehues: Es ist natürlich ein Versuch. Das "Haus der Wohnungslosenhilfe" stellt uns einen Sozialarbeiter, der jede Woche vor Ort ist und die vier Männer bei ihren Bemühungen unterstützt. Unsere Hoffnung ist, dass das Projekt für sie ein Sprungbrett wird, um in den normalen Wohnungsmarkt zurückzufinden oder in anderen Wohnformen unterzukommen.
DOMRADIO.DE: Wie klappt denn das Zusammenleben mit den Priesteranwärtern?
Niehues: Wir sind eine ganz lebendige Hausgemeinschaft im Borromaeum. Dazu gehören Studierende, Frauen und Männer ganz unterschiedlicher Fächer. Und wir versuchen gemeinsam Kirche zu sein. Die Grundvollzüge von Kirche, Gebet und Gottesdienst, kommen natürlich bei uns vor. Dazu gehört auch der Bereich Verkündigung, wenn ich an Kurse denke oder an Bibelkreise.
Die praktische Nächstenliebe ist ein ganz wichtiger Aspekt für uns, der alltäglich bei uns greifbar wird. Wir machen sehr gute Erfahrungen mit unseren neuen Mitbewohnern im Haus. Das ist einfach eine Bereicherung für die Seminaristen in den Begegnungen und in den Gesprächen, aber auch für die anderen Studierenden. Wir haben zum Beispiel gemeinsam dieses Jahr das Sommerfest begangen und ich glaube, dass da viel wachsen kann.
DOMRADIO.DE: Was erzählen die Bewohner denn von ihren Erfahrungen?
Niehues: Die Erfahrungen, die die ehemals Wohnungslosen schon hinter sich haben, sind bereichernd. Das sind jetzt keine Studierenden, sie sind auch nicht in dem Alter von Studierenden. Das ist manchmal erschreckend, wie die Gesellschaft Menschen Chancen vorenthält oder Menschen mit wenig Chancen zurechtkommen müssen. Das öffnet den Blick für die Lebenssituation insgesamt, in der wir stehen.
Das Interview führte Michelle Olion.