DOMRADIO.DE: Im Frühjahr wurde ein Prozess eingestellt, bei dem Sie in drei Fällen wegen "Beihilfe zu unerlaubtem Aufenthalt" angezeigt wurden. Als Christen sind wir ja auch eigentlich angehalten uns an Recht und Gesetz zu halten. Stört Sie das, dass Sie mit dem Kirchenasyl geltendes Recht gebrochen haben?
Mutter Mechthild Thürmer OSB (Äbtissin des Benediktinerinnen-Klosters Maria Frieden, Kirchschletten): Ich habe es nicht so empfunden, dass ich geltendes Recht gebrochen habe. Der Staat hat mit der Kirche ausgemacht, dass es besondere Härtefälle geben kann, die von einer Rechtsanwältin in München beurteilt werden. Sie wurde von der Bischofskonferenz beauftragt, für solche Fälle zu entscheiden. Und da hat es geheißen, dass meine Fälle, die ich hier gehabt habe, außergewöhnliche Härtefälle sind.
Die Menschen, wenn sie abgeschoben worden wären, hätten in der Heimat um Leib und Leben fürchten müssen, sind wirklich bedroht gewesen, hätten umgebracht oder gefoltert werden können. Und aus diesen Gründen, weil ich um sie Angst hatte, habe ich die dann aufgenommen.
DOMRADIO.DE: Aber der Konflikt bleibt ja. Auf der einen Seite steht die Position der Nächstenliebe, dem christlichen Auftrag folgend, und auf der anderen Seite steht geltendes Recht in Deutschland, das ja eigentlich was anderes fordert. Wie geht es Ihnen mit dem Dilemma?
Mutter Mechthild: Ich habe im tiefsten Innersten gewusst, ich habe das Richtige getan. Ich habe mir immer wieder vorgestellt, wie es wäre, wenn das jetzt mein Sohn wäre, meine Tochter wäre. Dann wäre ich unendlich dankbar, wenn ein anderer in so einer Lebenssituation helfen würde. Und ich wäre nie auf die Idee gekommen, eine Anzeige zu machen.
DOMRADIO.DE: Kommt da ein Unwohlsein hoch, wenn der Brief von der Staatsanwaltschaft oder vom Gericht im Kloster ankommt?
Mutter Mechthild: Ja, ich habe immer wieder gedacht, ich bin im falschen Film. Ich verkündige ja in der Schule die Nächstenliebe vom barmherzigen Samariter. Selbst Erstklässler haben mal gesagt: "Aber Mutter Mechthild, wie gibt's denn da? Du sagst uns, wir sollen den anderen helfen. Und jetzt sollst du dafür ins Gefängnis gehen?"
Also was ich machte, war meiner Meinung nach total richtig. Und ich bin sehr dankbar, dass ich es gemacht habe. Und schlafen habe ich immer können, weil das im tiefsten Innersten meine Überzeugung war, dass ich habe helfen müssen und habe auch die Möglichkeit gehabt zu helfen. Und es ist ja auch gar niemand zu Schaden gekommen, dass die was angestellt hätten, jemand bedroht hätten, mit einem Messer oder irgendwas, sondern es ist ihnen lediglich geholfen worden.
DOMRADIO.DE: Ähnlich sieht das der Administrator vom Erzbistum Bamberg, Weihbischof Herwig Gössl. Der hat gesagt, dass Sie nichts anderes getan hätten, als aus Nächstenliebe gehandelt zu haben. Vom spirituell-theologischen Blickwinkel betrachtet – wie begründet sich das Kirchenasyl denn?
Mutter Mechthild: Na ja, ganz einfach. Was du dem Nächsten tust, das hast du mir getan, wie Jesus sagt. In unserer benediktinischen Regel heißt es: Christus im Abt sehen, Christus im Mitbruder sehen, Christus im Gast, der kommt. Und jetzt ganz speziell dann eben in demjenigen, der Kirchenasyl sucht.
DOMRADIO.DE: Vor 40 Jahren, 1983, gab es in Berlin den ersten Fall des modernen Kirchenasyls. Aber die Vorgeschichte ist ja viel länger. Was wissen Sie, wie hat sich das zum Beispiel im Mittelalter, auch in den Klöstern zugetragen?
Mutter Mechthild: Ich habe das nur in der Schule einmal gehört und habe mich damals sehr gefreut, dass es in der Kirche die Möglichkeit gibt, wenn die Menschen von staatlicher Seite her verfolgt werden, dass sie in der Kirche Unterschlupf finden können und dass da keine Staatsgewalt kommen darf, um die wegzuholen.
Man hat zumindest eine Chance, das ist auch beim Kirchenasyl der Hintergrund, dass man die Sache sich mal genauer anschaut, ob das wirklich rechtens ist, wie man mit der Abschiebung umgeht, dem Menschen vielleicht doch eine Chance gibt, dass er hierbleiben kann. Und soweit ich weiß, sind alle, die ich hier im Kirchenasyl je gehabt habe, noch in Deutschland. Sie haben zwar nicht alle eine Bleiberecht. Aber die meisten sind zumindest nicht abgeschoben worden.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.