Nahost-Experte zur Waffenruhe im Gaza-Konflikt

Einseitig erklärter Frieden

Mehr als drei Wochen nach Beginn seiner Militäroffensive hat Israel den vollständigen Abzug seiner Truppen aus dem Gazastreifen vermeldet. Die dort regierende Hamas reagierte mit der Forderung, die Abriegelung des Palästinensergebiets vollständig aufzuheben. "Die Bereitschaft von Hamas und Israel, diesen Krieg fortzusetzen, ist auf jeden Fall da", warnt im domradio Nahost-Experte Berthold Meyer.

 (DR)

domradio: Weltweit hofft und bangt man derzeit, ob die seit Samstag vereinbarte Waffenruhe halten kann. Die Hamas hatte einer Woche Waffenruhe zugestimmt. Was wird wohl anschließend passieren - gibt es die Chance auf Frieden?
Meyer: Die Waffenruhen wurden nicht vereinbart - sie wurden jeweils einseitig erklärt. Insofern kann auch jede Seite sie wieder einseitig sofort beenden. Was nächste Woche passieren wird, wissen wir nicht. Denn die Bereitschaft von Hamas und Israel, diesen Krieg fortzusetzen, ist auf jeden Fall da.

domradio: Für Donnerstag hat Ägypten Vertreter beider Seiten nach Kairo eingeladen. Ägypten hatte auch jetzt bei den erklärten Waffenruhen die Hände mit im Spiel. Welche Rolle spielt dieses Land für die Vermittlung - auch in Zukunft?
Meyer: Ägypten spielt eine ganz wichtige Rolle für die Vermittlung zwischen Israel und den Palästinensern. Schon aus dem Grund, weil Ägypten das erste Land war, das mit Israel Frieden geschlossen hat. Und das aber auch ein großes Interesse daran hat, dass es im Gaza-Streifen einigermaßen ruhig bleibt und dass die palästinensische Hamas nicht auf ihre Bruderorganisation - die Muslimbrüder - in Ägypten selber Einfluss nimmt, so dass die innenpolitischen Konflikte, die es in Ägypten gibt, dadurch nicht vergrößert werden.

domradio: Wie kann denn der illegale Waffenschmuggel nach Gaza beendet werden - eine der Hauptforderungen Israels?
Meyer: Das Problem ist, dass Israel selber sagt, sie hätten nur 80 Prozent der Tunnel zerstört, so dass durch die verbliebenen Tunnel weiterhin geschmuggelt werden könnte. Hier kommt es darauf an, dass auf der ägyptischen Seite des Gaza-Streifens - das ist ja nur ein Stück von 16 Kilometern -, dass dieses strikt und international überwacht wird, damit es dort zu keinem weiteren Waffenschmuggel kommt. Und da sind noch keine weiteren klaren Vereinbarungen getroffen, soweit ich das sehe. Da müsste nämlich möglicherweise die Europäische Union, die ja schon einmal diesen Streifen mit überwacht hat, wieder in Aktion treten. Und das ist ja noch nicht geklärt.

domradio: Dieser Waffenruhe zu diesem Zeitpunkt kommt nicht  von ungefähr - hat sie auch etwas damit zu tun, dass das Machtvakuum in den USA ab heute beendet ist und Barack Obama als neuer US-Präsident vereidigt wird?
Meyer: Israel hat erklärt, dass es diesen Abzug aus dem Gaza-Streifen eben bis zur Amtseinführung von Obama beendet haben will. Das ist ein Zeichen des guten Willens. Und ein Zeichen der Erwartung, dass Obama dann mit seinen Friedensbemühungen im Nahen Osten gleich beginnen kann und nicht direkt in den Krieg eingreifen muss, sondern dass Israel zeigt, dass es hier nach vorne kommen will. Aber wie das im Detail aussieht, wird man abwarten müssen.

Prof. Dr. Berthold Meyer ist Gründungsmitglied der Tübinger Arbeitsgruppe Friedensforschung und des Vereins für Friedenspädagogik. Er arbeitet als Projektleiter bei der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung und lehrt am Zentrum für Konfliktforschung der Philipps-Universität Marburg.