Seit Jahren liebäugelt Naumburg mit dem Unesco-Weltkulturerbe-Titel. Theoretisch wäre die nächste Chance zum Greifen nahe: Der Naumburger Dom und die ihn umgebende hochmittelalterliche Kulturlandschaft Saale/Unstrut gehören zu den 35 Nominierten, über deren Aufnahme in die Welterbeliste das Unesco-Komittee in seiner Sitzung vom 2. bis 12. Juli im polnischen Krakau entscheidet. Doch der Internationale Rat für Denkmalschutz (Icomos), der Empfehlungen für neue Welterbestätten ausspricht, lehnt die Aufnahme Naumburgs in einem Gutachten ab - bereits zum zweiten Mal.
Erste Ablehnung im Jahr 2015
Schon 2015 hatte Icomos mit unverblümter Klarheit den Welterbe-Antrag aus Sachsen-Anhalt abgelehnt, und das Unesco-Komittee war dieser Empfehlung gefolgt. Bemängelt hatten die internationalen Denkmalsschützer damals die Schlüssigkeit des Antrags und "mangelnde historische und wissenschaftliche Bezüge" moniert. Aus ihrer Sicht stelle die Region keinen "einmaligen universellen Wert" dar.
Das Naumburger Welterbe-Vorbereitungskomitee indes ließ sich nicht entmutigen, gelobte Besserung und formulierte einen neuen Antrag.
Dieser rückte den Naumburger Dom in den Mittelpunkt, seinen Westchor mit den weltberühmten Stifterfiguren und die Beziehungen des Bauwerks zu seinem Umfeld. Dazu gehören etwa die Weinberge, die nachweislich aus der Zeit des Hochmittelalters stammen.
Kunsthistorische Bedeutung
Der kunsthistorischer Rang des Doms scheint außer Frage. So gelten die berühmten lebensgroßen Stifterfiguren des Naumburger Meisters aus dem 13. Jahrhundert als revolutionärer Ausdruck einer um diese Zeit neu entdeckten Individualität. Die Figuren weinen, lächeln, schauen betrübt, stolz, amüsiert. Kaum würde es den Betrachter wundern, wenn sie ihm plötzlich zuzwinkerten, so lebensecht wirken die steinernen Zeitzeugen.
Die Darstellung der Markgräfin Uta zieht die meisten der jährlich 150.000 Besucher des Dom immer wieder in ihren Bann. Ihre Gestalt und charakteristischen Gesichtszüge haben für Generationen das Bild der mittelalterlichen adeligen Frau schlechthin geprägt. Dabei schuf der Naumburger Meister die Figuren erst 200 Jahre nach dem Tod der Stifter. Es handelt sich somit nicht um naturgetreue Darstellungen.
Vielmehr wollen die Porträts beispielhaft den Tugenden vorbildlicher Adeliger Gestalt geben.
Einzigartig machen den als für seine Zeit idealtypisch geltenden Dom auch die beiden aus dem 13. Jahrhundert erhaltenen Lettner-Anlagen, die als bedeutende Beispiele der deutschen Frühgotik gelten. "Der Dom ist damit ein herausgehobenes Beispiel für die Erlebbarkeit der Liturgie des hohen Mittelalters", erklärt der Direktor und Stiftskustos der Vereinigten Domstifter, Holger Kunde. Doch den Denkmalschützern von Icomos reicht das offenbar nicht aus, wie das neue, elfseitige Gutachten zeigt.
Keine realistischen Chancen?
Dort heißt es, der Dom sei zwar "wegen seiner Doppelchorstruktur und anderer Merkmale" besonders wertvoll, doch seien die für den Antrag "ausgewählten Komponenten und ihr breiterer Landschaftskontext" nur von "regionaler Bedeutung". Außerdem kritisieren die Denkmalschützer, dass eine Reihe von aktuellen Infrastruktur- und Entwicklungsprojekten die Kulturlandschaft im wahrsten Sinne des Wortes durchkreuzen könnten. Icomos hatte vergangenen August eigens einen Wissenschaftler für drei Tage zur Erkundung in die Region entsandt.
Kunde, der auch dem Naumburger Welterbe-Vorbereitungskomitee angehört, zeigte sich auf Anfrage über das negative Icomos-Gutachten mehr als verwundert: "Ich habe meine Schwierigkeiten, die Argumente und die Einschätzung zu verstehen, vor allem dass man dem Dom nur eine lokale Bedeutung beimisst." Dem stünden viele renommierte internationale Fachmeinungen entgegen. "Aber wir gehen den Weg jetzt zu Ende und lassen uns nicht verdrießen", so der Kunsthistoriker.
Denn das Unesco-Komittee ist bei seiner Entscheidung über die Aufnahme nicht an die Icomos-Empfehlung gebunden. Doch wirklich realistische Chancen dürfte Naumburg wohl auch diesmal wieder nicht haben.