Nicht einmal eine Woche hielt das Abkommen zwischen Chilenischer Bischofskonferenz und Staatsanwaltschaft der Kritik Stand. Die Unterzeichnung habe Leid bei den Opfern hervorgerufen, räumten die Bischöfe am Montag (Ortszeit) in einer Stellungnahme ein. "Das war nicht unsere Absicht." Eigentlich sollte das Abkommen den Willen der katholischen Kirche in Chile dokumentieren, bei der Aufklärung der Missbrauchskrise mit den Behörden zusammenzuarbeiten. Zuvor hatte die Staatsanwaltschaft immer wieder moniert, es fehle an Kooperationsbereitschaft.
Doch statt des gewünschten Signals setzte sich eine andere Lesart durch: Die Kirche könne von der Staatsanwaltschaft eine Art Sonderstatus erwarten. Das prominente Missbrauchsopfer Juan Carlos Cruz warf den Ermittlern vor, "die Hoffnung der Opfer zu verraten". Er werde nicht Ruhe geben, bis Generalstaatsanwalt Jorge Abbott zurücktrete und jemand komme, der sich um die Opfer sorge und sie nicht verkaufe, so Cruz weiter.
Abbott kassierte Abkommen wieder ein
In der Nacht zu Dienstag dann der Rückzieher: Abbott kassierte das Abkommen nach der scharfen Kritik wieder ein. In einer via Twitter verbreiteten Mitteilung der Behörde heißt es, Abbott habe sich nach Gesprächen mit Opfergruppen entschieden, die am 30. April unterzeichnete Absichtserklärung nicht wirksam werden zu lassen. Mehr noch: Die Staatsanwaltschaft bedauere, dass die Unterzeichnung des Dokumentes Misstrauen und Schmerz erzeugt habe. "Das war nicht vorgesehen." Abbott übernahm zugleich die Verantwortung für den Fehlschlag. "Ich nehme diesen Fehler auf mich. Der Fehler war, das zu machen, ohne vorher die Opfer zu hören", sagte er der Tageszeitung "La Tercera" (Dienstag).
Vor einer Woche klang das noch alles ganz anders. Da hatten Kirche und Staatsanwaltschaft eine engere Zusammenarbeit bei der Aufklärung von sexuellem Missbrauch versprochen. Abbott und der Generalsekretär der Bischofskonferenz, Fernando Ramos, unterzeichneten in Santiago medienwirksam das entsprechende Abkommen. Es sah vor, dass kirchliche Stellen den Ermittlungsbehörden gezielt Informationen übermitteln, um die Missbrauchsaufklärung voranzutreiben.
Zweifel und Misstrauen
"Wir sind keine Gegner, sondern arbeiten zusammen, weil uns das gleiche Ziel eint", sagte Ramos. Und Abbott erklärte, dass die Zusammenarbeit von Staat und Kirche das sei, "was die Leute von uns erwarten". Genau diese zur Schau gestellte Einigkeit aber sorgte bei den Opfern für Zweifel und Misstrauen, sie sahen die Unabhängigkeit und Transparenz der Ermittler in Gefahr.
Am Dienstagmorgen ist das Medienecho verheerend. Nahezu alle chilenischen Zeitungen berichten groß über die gescheiterte Kooperation, ebenso die führenden TV-Sender. Bei ihrem Versuch, neues Vertrauen zu schaffen, hat die Kirche des südamerikanischen Landes nun einen schweren Rückschlag hinnehmen müssen. Die chilenische Kirche wird seit Monaten von einem Missbrauchsskandal erschüttert. Laut Medienberichten ermittelt die Justiz derzeit in mehr als 150 Fällen gegen mehr als 200 Kirchenmitarbeiter. Gegen ranghohe Kirchenvertreter laufen Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Vertuschung.