DOMRADIO.DE: "Weil ich hier leben will" ist ein Sammelband, der sich mit der Zukunft des jüdischen Lebens in Deutschland beschäftigt. Wie viel Mut braucht man heute, um sich öffentlich zum Judentum zu bekennen?
Jonas Fegert (Mit-Herausgeber des Sammelbands "Weil ich hier leben will"): Ich weiß gar nicht, ob es so viel Mut braucht, sich öffentlich zum Judentum zu bekennen oder mehr Mut als zu anderen Zeiten. Was es tatsächlich gibt - das versuchen wir in dem Sammelband zu beschreiben - ist eine Vielfalt von jüdischen Leben in Deutschland.
Sie ermöglicht eine andere Art von jüdischem Leben und macht es leichter, jüdisch zu leben. Klar, es gibt Fälle von Antisemitismus, aber es gab aber auch in der Vergangenheit immer wieder Fälle von Antisemitismus. Die Meldeportale dafür sind besser geworden, und das ist eine große Hilfe für die jüdischen Gemeinden.
DOMRADIO.DE: Sie haben die Vielfalt erwähnt. Es geht auch darum, dass die jüdischen Gemeinden mutiger sein müssten und zwar um diese Vielfalt zuzulassen. Inwiefern?
Fegert: Was wir beschreiben, ist gleichzeitig eine Bestandsaufnahme. Es berichtet auch von der Arbeit des Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerks, einem Studienprogramm der jüdischen Gemeinschaft, das es seit fast zehn Jahren gibt. Wir wollten aufzeigen, was durch dieses Stipendienprogramm für eine Vielfalt innerhalb der jüdischen Gemeinde entstanden ist.
Es sind Juden aus der ehemaligen Sowjetunion, Israelis, deutsche Juden unterschiedlicher Denominationen, die sich über jüdische Identität ausgetauscht haben. Davon zeugt das Buch. Es zeigt, was uns bewegt und was wir anstellen wollen mit dem jüdischen Leben.
DOMRADIO.DE: Darunter kommen Richtungen zu Wort, die bislang kein Gehör fanden. Jetzt versucht man diese Vielfalt zuzulassen. Wie passt das zusammen? Was fange ich mit der Vielfalt an?
Fegert: Ich glaube, diese Vielfalt ist nicht zu unterschätzen. Es hat lange gebraucht, diesen Zustand herzustellen. Auch gegenüber den klassischen jüdischen Institutionen war das ein langer Prozess, und vielleicht sind wir auch da noch gar nicht angekommen.
Es gibt immer noch offene Fragen, zum Beispiel die vom "Vaterjuden". Der Begriff bezeichnet Leute, die sich als Juden verstehen, aber nur einen jüdischen Vater und keine jüdische Mutter haben und daher nach jüdischem Gesetz nicht jüdisch sind.
Sie definieren sich aber als Juden und wollen auch Teil der jüdischen Gemeinde sein. Was wird denen angeboten? Ich glaube, es gibt noch ganz viele Fragen, die innerhalb der jüdischen Community noch nicht geklärt sind.
DOMRADIO.DE: Gibt es denn im 21. Jahrhundert so etwas wie ein deutsches Judentum?
Fegert: Es gibt Stimmen, die sich auch in dem Buch wiederfinden, denen es um eine Zukunft jüdischen Lebens in Deutschland und Europa geht. Es gibt tatsächlich ein Judentum, was es in den 60/70er Jahren in Deutschland so nicht gab. Das sagt, wir leben eigentlich gerne hier, wir wollen uns aber auch in die Gesellschaft einbringen und fordern auch etwas von der Gesellschaft.
Zum Beispiel die Vielfältigkeit der Gesellschaft anzuerkennen. Ich glaube, da hat sich tatsächlich das Deutschlandbild unter den Juden verändert, die in Deutschland leben.