KNA: Herr Schuster, nach Ihrer Wiederwahl sagten Sie der "Jüdischen Allgemeinen", dass es trotz unterschiedlicher Auffassungen und verschiedener religiöser Ausrichtungen innerhalb des Judentums Einigkeit über große Ziele gebe. Welche Ziele sind das?
Josef Schuster (Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland): Nun, konkret geht es um die verschiedenen Strömungen, die es im Judentum gibt: orthodox, konservativ, liberal. Da gab es schon Phasen, in denen ein gewisses Auseinanderdriften zu beobachten war. Das ist aber inzwischen nicht mehr der Fall. Denn die Denominationen haben verstanden, dass sie letztendlich das gleiche Ziel haben: die Stärkung der jüdischen Gemeinschaft.
KNA: Ein weiteres Thema in den Gemeinden ist die Demografie.
Schuster: Wir haben ähnlich wie die Kirchen einen Überhang an älteren Gemeindemitgliedern. Umso wichtiger ist es, die Jugend und schon die Kinder stärker an die Gemeinden zu binden. Sie sind die Zukunft. Der Zentralrat der Juden hat daher verschiedene Programme gestartet, zum Beispiel unser neues Familienprogramm "Mischpacha". Damit werden junge jüdische Familien, die Nachwuchs erwarten oder bekommen haben, dabei unterstützt, religiöse Traditionen und Werte an die Kinder weiterzugeben, etwa mit Elternbriefen oder altersgerechtem Spielzeug für die Feiertage.
KNA: Anfang November gab es einen Jüdischen Zukunftskongress in Berlin. Dort wurden auch Themen wie die sogenannten Vaterjuden und interreligiöse Ehen teils kontrovers diskutiert. Wie sehen Sie das?
Schuster: Man muss hier differenzieren. Am jüdischen Religionsgesetz, der Halacha, kommen wir nicht vorbei: Jude ist, wer eine jüdische Mutter hat oder zum Judentum übergetreten ist. Das heißt nicht, dass man bei Ehepaaren, die unterschiedliche Religionszugehörigkeiten haben, den nichtjüdischen Partner ausschließen soll. Da gibt es in Gemeinden auch spezielle Vereine. Die Synagoge steht jedem offen. Und wenn die Gemeinde Feierlichkeiten ausrichtet, dann kann selbstverständlich auch der nichtjüdische Ehepartner mitkommen.
KNA: Gibt es noch andere Aspekte?
Schuster: Zum Beispiel den Religionsunterricht. In einigen Bundesländern können auch nicht-jüdische Kinder am jüdischen Religionsunterricht teilnehmen.
KNA: Wie können Sie Menschen erreichen, die dem Zentralrat vielleicht kritisch gegenüberstehen?
Schuster: Der Zentralrat der Juden ist die politische Vertretung der Juden in Deutschland und demokratisch organisiert. Das heißt, es gibt die Möglichkeit, sich über die Gemeinden oder Landesverbände im Zentralrat zu engagieren und die Kritik einzubringen.
KNA: Wie sieht die Zukunft des Judentums in Deutschland aus, die Sie sich wünschen?
Schuster: Ich hoffe, dass das, was wir in den vergangenen zwei Jahrzehnten erlebt haben an deutlichem Ausbau des Gemeindelebens und einer damit verbundenen besseren Anbindung der Mitglieder, sich in den nächsten Jahren fortsetzt. Daneben wünsche ich mir, dass sich unser gesellschaftliches Klima wieder so ändert, dass jüdisches Leben uneingeschränkt in Deutschland möglich ist.
KNA: In Deutschland geraten Juden von verschiedenen Seiten in Bedrängnis: von linksradikaler Seite, pro-palästinensischen Akteuren, aber auch rechtsradikalen Kräften und teilweise vonseiten arabischer Migranten. Ist Deutschland heute ein sicheres Land für Juden?
Schuster: Deutschland ist weiterhin ein sicheres Land für Juden. Daran habe ich keinerlei Zweifel, auch wenn es großstädtische Stadtviertel oder Regionen in Deutschland gibt, in denen ich vielleicht ein wenig aufpassen würde. Da habe ich auch geraten, sich nicht offen durch eine Kippa als Jude zu erkennen zu geben. Das muss man leider einschränkend sagen.
KNA: Wo würden Sie denn heute diese Stadtviertel verorten?
Schuster: In Bereichen mit einem hohen Anteil muslimischer Bewohner. Es gibt aber auch andere Gegenden, wenn Sie etwa an den Angriff auf einen Kippa tragenden Mann in Berlin-Prenzlauer Berg denken. Eine andere Region zum Beispiel ist Dortmund mit einer deutlichen rechtsradikalen Szene.
KNA: 2019 werden in Bremen, Brandenburg, Sachsen und Thüringen neue Landtage gewählt. Wie schauen Sie auf diese Wahlen, auch mit Blick auf einen möglichen weiteren Aufstieg der AfD?
Schuster: Wenn ich mir die bisherige Zustimmung zur AfD in den genannten ostdeutschen Bundesländern anschaue, dann ist das schon jetzt besorgniserregend. Wenn ich mir vorstelle, dass hier mit einem weiteren Stimmenzuwachs zu rechnen wäre, dann ist das etwas, was mich mit Sorge erfüllt. Ich hoffe immer noch, dass es gelingt, Wählern oder potenziellen Wählern der AfD aufzuzeigen, wem sie da hinterherlaufen. Wer die AfD wählt, trägt deren Toleranz gegenüber rechtsextremistischen Positionen mit.
KNA: In der Partei gibt es die neue Gruppe "Juden in der AfD". Geht davon aus Ihrer Sicht bisher irgendein Impuls aus?
Schuster: Ich habe seit dem Tag, an dem sich diese Gruppe gegründet hat, nie mehr von ihr gehört. Es ist erschreckend, wenn sich 15 Personen als Feigenblatt für die AfD hergeben. Juden sind wie ein Querschnitt der Gesamtbevölkerung. Da gibt es auch welche, die den Thesen der AfD auf den Leim gehen. Und wenn ich es mal etwas sarkastisch sagen darf: Es gibt ein Vorurteil, dass alle Juden klug seien. Dass das völlig falsch ist, ist spätestens seit der Gründung dieser Gruppierung bewiesen.
KNA: Wie ist es aus Ihrer Sicht um den jüdisch-muslimischen Dialog und das christlich-jüdische Miteinander bestellt?
Schuster: Der christlich-jüdische Dialog ist wirklich ein Miteinander. So hat eine Podiumsdiskussion am 8. November in der Israelitischen Kultusgemeinde Würzburg mit Kardinal Reinhard Marx, dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, und mir gezeigt, dass es zu gesellschaftspolitischen Fragen so gut wie keine Differenzen gibt. Von christlicher Seite wurde auch verstanden, dass vieles von dem, was noch an antisemitischem Gedankengut in den Köpfen kreist, sicherlich mitverursacht ist durch jahrhundertelangen christlichen Antisemitismus.
KNA: Und der jüdisch-muslimische Dialog?
Schuster: Es gibt ihn, wenn er auch schwierig ist. Im Gegensatz zu den Kirchen gibt es keinen zentralen Ansprechpartner auf muslimischer Seite. Es gibt Verbände, die aber insgesamt nur etwa ein Viertel der in Deutschland lebenden Muslime vertreten. Dazu gibt es Menschen, die zumindest derzeit keine Gesprächspartner sein können. Zum einen, weil sie Moscheegemeinden tolerieren, die den Muslimbrüdern nahestehen, zum anderen aber auch zum Teil staatlich gelenkt sind. Hier denke ich vor allem an der Türkei nahestehende Moscheegemeinden.
Das Interview führte Leticia Witte.