Doch Sicherheit in Rechtsfragen bedeutet nicht, dass Ängste und Nöte nun vom Tisch sind. Das zeigte jetzt eine Tagung in der katholischen Akademie des Bistums Münster.
Neues kirchliches Arbeitsrecht
Es ist ein wenig wie bei der Henne und dem Ei. Folgt das neue kirchliche Arbeitsrecht einem längst vollzogenen Kulturwandel in der katholischen Kirche in Deutschland - oder ist es ein erster Schritt, um eine Kultur der Gleichbehandlung aller Menschen unabhängig von Sexualität, Geschlechtsidentität und Lebenswandel zu schaffen? Die Beantwortung der Frage hängt wohl maßgeblich davon ab, wen man fragt.
Druck von außen
Fest steht aus Sicht der im Münsteraner Franz-Hitze-Haus anwesenden Experten aber allemal: Die Neuordnung in ihrer jetzigen Form hängt maßgeblich mit der Rechtsprechung der vergangenen Jahre zusammen. Ohne die staatlichen Gerichte hätte es das neue Arbeitsrecht in dieser Form wohl kaum gegeben - und die Initiative #OutInChurch hat das Thema im vergangenen Jahr so sehr in die Öffentlichkeit gerückt, dass eine rasche Neuordnung unerlässlich war. Die Kirche hat sich gewissermaßen dem Druck von außen gebeugt - auch wenn einzelne Stimmen durchaus eine intrinsische Motivation vermuten.
Klar ist nun: Die private Lebensführung von Mitarbeitenden hat der Dienstgeber nicht mehr zu bewerten, sie ist kein Hindernis bei Bewerbungen und kein Grund zur Kündigung. Rechtlich hat die neue Grundordnung das Maximum erreicht, kommentiert der Rechtswissenschaftler Jacob Joussen. Mit dem Bekenntnis zur Vielfalt habe die Kirche gar eine Vorreiterrolle inne, die so manchem Wirtschaftsunternehmen gut zu Gesicht stehen würde. Doch räumte Joussen zugleich ein, dass ein solches Bekenntnis auch mit Leben gefüllt werden müsse.
Diskrepanz bleibe bestehen
Einfach wird das nicht werden. Joussen zeigt in seinem Vortrag vor rund 55 Teilnehmenden - viele von ihnen Teil der queeren Community - auf, dass eine nicht wegzuredende Diskrepanz zwischen Arbeitsrecht und offizieller kirchlicher Moralvorstellung bestehen bleibt. Von einem umfassenden Befreiungsschlag kann nicht die Rede sein: "Es ist ein arbeitsrechtlicher Schritt, aber mehr ist es nicht." Die Glaubensvorstellung kann das Recht nicht ändern, konstatiert Joussen, und folgert: "Diese Spannung wird man aushalten müssen."
Spannungen wie diese sind der katholischen Kirche in Deutschland nicht fremd. Scheiterte im Herbst beim Reformprozess Synodaler Weg noch ein Grundlagenpapier zu einer liberaleren Sexualmoral an den bischöflichen Voten, bekannten sich Bischöfe und Laien in weiteren Texten zu mehr Vielfalt in der Lebensführung. Für den Kirchenrechtler Thomas Schüller ist das eine "bizarre Situation". Und auf die Pläne, homosexuelle Partnerschaften nicht nur im Halbverborgenen, sondern ganz offiziell den Segen Gottes zuzusprechen, folgte prompt eine ernüchternde Reaktion aus Rom.
Kulturwandel schwierig
Strukturell also gestaltet sich der Kulturwandel schwierig - und vor Ort hängt er maßgeblich von den Personen ab, die Macht haben und Entscheidungen fällen. Deutlich wurde dies einmal mehr bei der abendlichen Podiumsdiskussion. Die Aussage des Münsteraner Generalvikars Klaus Winterkamp, dass es im Bistum kaum arbeitsrechtliche Konsequenzen gegeben habe, weil der Lebenswandel der Arbeitnehmer nicht im Einklang mit der Grundordnung stand, sorgt vielfach für Irritationen. Gerade solche Einzelfallentscheidungen seien Ausdruck eines Machtgefälles und von Willkür, heißt es zur Antwort.
Verhalten reagierte Winterkamp auf den einhelligen Wunsch, eine Aufarbeitung des Leids queerer Menschen anzugehen. Neben der zeitintensiven Missbrauchsaufarbeitung sieht der Generalvikar dafür kaum eine Möglichkeit. Bei vielen Teilnehmenden der Tagung waren Reaktionen wie diese Anlass zur kritischen Rückfrage, ob auf Ebene der Bischöfe und Generalvikare die Anliegen queerer Menschen und strukturelle Probleme wirklich umfänglich verstanden worden sind.
Gleichbehandlung rechtlich zugesagt
Zumindest rechtlich ist die Gleichbehandlung nun zugesagt - auch für trans oder nicht-binäre Personen, gleich wenn der Text weiterhin in den Kategorien von Mann und Frau denkt. An manchen Stellen wird die Zeit - und vermutlich auch die ein oder andere Rechtsprechung staatlicher Gerichte - zeigen, wie strittige Fragen arbeitsrechtlich behandelt werden: Etwa wenn es um den Austritt aus der Kirche oder um eine Definition vom "Propagieren kirchenfeindlichen Verhaltens" geht. Auch will die Grundordnung die christliche Identität der katholischen Einrichtungen stärken - wer diese jedoch definiert, überprüft und was geschieht, wenn die Einrichtung selbst nicht in diesem Geiste wirkt, ist bislang nicht näher definiert.
Rechtswissenschaftler Joussen prognostiziert: Mit Staat und Kirche wird es immer zwei Grundrechtsträger geben, die in einer gewissen Spannung zueinander stehen. Die beiden Verfassungsgüter - etwa das staatliche Antidiskriminierungsrecht auf der einen und das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen auf der anderen Seite - werden
immer abgewogen werden müssen. Der Jurist sagt aber auch: Die Zeit, in der die Rechtsgüter der Kirche größer waren als die Grundrechte der Arbeitnehmer, ist vorbei.