Neuntklässler sprechen über den Tod

Die Schildkröte auf der Urne

Einen Sarg bemalen, ein Hospiz besuchen und dabei über Leben und Sterben sprechen: In Dessau sind Jugendliche bei einem Schulprojekt mit dem Tod und Religion in Berührung gekommen. Über eine Woche, die lange nachwirkt.

Autor/in:
Niklas Hesselmann
Von Schülern in einem multikulturellen Schulprojekt bunt bemalter Sarg im Gemeindezentrum der freien evangelischen Gemeinde Dessau. / © Niklas Hesselmann (KNA)
Von Schülern in einem multikulturellen Schulprojekt bunt bemalter Sarg im Gemeindezentrum der freien evangelischen Gemeinde Dessau. / © Niklas Hesselmann ( (Link ist extern)KNA )

Ein Regenbogen, ein Baum, der Sonnenschein - ein bunt bemalter Sarg steht im Gemeindezentrum der freien evangelischen Gemeinde Dessau. Nicht nur knallige Farben zieren den Sarg, auf einer Seite ist er dunkel. Zu sehen sind Planeten und Sterne. Diese Seite soll die Nacht symbolisieren, erklären Schülerinnen und Schüler der neunten Klasse der Sekundarschule Kreuzberge in der sachsen-anhaltinischen Bauhausstadt.

Sie nehmen an einem multikulturellen Schulprojekt teil. Dabei befassen sie sich auf unterschiedliche Weise mit dem Thema Tod und Leben - von Impro-Theater bis Sargbemalen. Überschrieben ist die Projektwoche mit der Frage "Wo kommen wir her, wo gehen wir hin?"

Besuch im Hospiz

Mit diesem Thema habe er sich bisher eher weniger beschäftigt, sagt Philipp. Er ist einer der Schüler, die den Sarg und zwei Urnen gestaltet haben. In der Woche habe er mehr erfahren über Sterben und Tod, aber auch über verschiedene Religionen. Auf dem Programm standen Besuche der evangelischen Johanniskirche, der Weill-Synagoge und der Quba'a Moschee.

"Besonders war der Moment, als wir im Hospiz waren", ergänzt Mitschüler Jeremy. Besonders zwar, aber für sie nicht besonders emotional, sind sich die beiden einig. Am Ende der Woche stehen aber auf jeden Fall neue Erkenntnisse und ein gutes Gefühl: der Moment nämlich, als der Sarg fertig bemalt war.

Schüler haben "Sehnsucht nach Spiritualität"

Seit über 15 Jahren gibt es das interreligiöse Schulprojekt. Jugendbildungsreferent Carsten Damm von der evangelischen Kirche koordiniert die Aktion. In den vergangenen Jahren habe sich das Programm immer wieder geändert, um modernen Ansprüchen gerecht zu werden. Die Schülerinnen und Schüler seien unverändert motiviert - so motiviert Neuntklässler eben sind. Und doch merke man über die fünf Tage, wie sie sich langsam für die Themen öffnen, sagt Damm. Sie trauen sich mehr zu und bringen sich kreativ ein.

Landesjugendpfarrerin Peggy Rotter ist von ihrer Gruppe begeistert: "Es war eine ganz bereichernde Woche, auch für mich." Sie lerne immer wieder von den Jugendlichen. Sie beschäftigten sich intensiv mit dem, woran sie selbst glauben. Am Ende der Woche stehen sie auf der Bühne und teilen ihren Glauben mit den Mitschülerinnen und Mitschülern.

Rotter berichtet von einer tiefen Sehnsucht nach Spiritualität bei jungen Menschen. Das habe sie überrascht und zugleich berührt. An dem Projekt schätze sie besonders, dass es Schülerinnen und Schüler einer Sekundarschule erreicht. Ihnen werde damit die Botschaft vermittelt: "So wie ihr seid, seid ihr richtig."

Raus aus gewohntem Umfeld

In einer Schreibwerkstatt widmete sich ein Teil der Jugendlichen einigen Fragen nach dem Sinn des Lebens und dem "Danach". Entstanden sind mehrere Kurzgeschichten. "Am Ende schlief ich ein, ohne zu wissen, wie es sich anfühlte, frei zu sein", schrieb eine Schülerin.

So tiefsinnig war die Woche nicht durchgehend. Natürlich gehörten auch alltägliche Themen dazu - wie etwa die Smartphone-Nutzung. Lehrerin Sabine Wilmer versuchte die, so gut es ging, einzudämmen. Zugleich war ihr und den anderen Betreuern wichtig, dass die Jugendlichen herauskommen aus dem gewohnten Umfeld Schule: Alle Gruppen sind außerhalb der Schule zusammengekommen. Jeder Tag begann mit einem gemeinsamen Frühstück. Mal stand dann eine gemeinsame Aktion an wie ein Besuch beim Bestatter oder die Jugendlichen arbeiteten an ihren Projekten. Manche mit Stift und Papier, manche mit vollem Körpereinsatz und manche mit Pinsel und Farbe.

Eine Urne mit blauen Blüten und Friedenstauben - diese Motive überraschen eher wenig. Aber Schildkröten am Strand, gemalt auf einer Urne? Schildkröten schlüpfen am Strand aus ihren Eiern, wandern zum Meer und treiben hinaus ins Weite. Damit symbolisiert das Gemalte den Lebensweg, erklärt die Gruppe. Und wohin führt der? Diese Frage hat eine Woche lang in den Schülerinnen und Schülern gearbeitet - und wird sie vielleicht noch länger beschäftigen.