DOMRADIO.DE: Beate Gilles ist neue Generalsekretärin der deutschen Bischofskonferenz, Eva Maria Welskop-Deffaa Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes und nun hat auch das ZdK mit Ihnen eine weibliche Führung. Tut sich da also schon was in Sachen Frauen in der Kirche?
Irme Stetter-Karp (Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken): Offensichtlich. Außerdem ist es vielleicht doch keine Überraschung, sagen auch manche Studien, dass Frauen dann, wenn es besonders kritisch ist, in Krisen, gerufen sind.
DOMRADIO.DE: Die Retter in der Not?
Stetter-Karp: So wollte ich es nicht sagen, aber da ist schon was dran.
DOMRADIO.DE: Sie haben ja gesagt, dass Sie in der Kirche leidenschaftlich für Reformen kämpfen wollen. Haben Sie dafür schon einen Plan?
Stetter-Karp: Ich bin nicht diejenige, die mit einem fertigen Rezept in der Hosen- oder Rocktasche ankommt. Sondern mein Weg heißt, dass ich mit dem Präsidium - und dann, wenn wir Entsprechendes vorarbeiten konnten, mit dem Souverän der Versammlung - uns tatsächlich gemeinsam einen Korridor bilden, eine Priorität bilden, was jetzt ansteht in 2022.
Was ich mitbringe, ist natürlich das Verständnis einer diakonischen Kirche. Ich will auf gar keinen Fall, das können Sie schon lesen, dass wir uns in die innerkirchlichen Fragen, die groß genug sind, ganz so weit vertiefen, dass wir alles andere nicht mehr sehen. Das fände ich fatal, weil ich wirklich für eine Kirche stehe, die sich weltoffen zeigt und bereit ist, Lösungen einzubringen für alle Bürger und Bürgerinnen.
DOMRADIO.DE: Alle bemühen sich ja auch um den Zusammenhalt in der Kirche, aber mit ganz unterschiedlichen Prinzipien und Verständnissen. Wie wichtig ist Ihnen denn der Zusammenhalt in der Kirche?
Stetter-Karp: Mir ist er insofern wichtig, als dass ich der Überzeugung bin, dass es nicht ausreicht, christlichen Glauben privat - im Bild gesprochen "im Kämmerchen" - zu leben. Sondern ich verstehe den Auftrag der Nachfolge schon so, dass es auch gilt, die Welt zu gestalten, sich einzumischen. Und dazu braucht es natürlich auch politisch ein Engagement. Und deshalb hatte ich gesagt, dass ich es fatal finden würde, wenn wir vor lauter innerkirchlichen, drängenden Aufgaben die Welt um uns herum vergessen.
DOMRADIO.DE: Wer ist denn "wir"? Es gibt ja schon Unterschiede in der Kirche. Ist es dann gut, dass die Kirche auch so vielfältig ist und das vielleicht ein bisschen am Zusammenhalt rüttelt?
Stetter-Karp: Erst mal haben Sie absolut recht. "Wir" ist immer sehr trügerisch und ich habe jetzt erst mal allgemein gesprochen, in der Hoffnung oder auch in dem Wunsch, dass Christen sich unter diesem noch weiten Verständnis finden können. Es werden nicht alle sein. Ich hoffe, es sind viele. Ob ich die Vielfalt gut finde? Ja. Uneingeschränkt ja.
DOMRADIO.DE: Ist der Reformprozess, der Synodale Weg in Deutschland, aus ihrer Sicht aktuell erfolgreich? So viel Zusammenhalt gibt es da ja nicht unbedingt.
Stetter-Karp: Lassen Sie uns darüber streiten. Denn ich finde in den ersten Lesungen eine Mehrheit von um die 80 Prozent, unterschiedlich je nach Forum, mehr als ich erwartet hatte. Jetzt sind es natürlich nicht 100 prozent, aber das sind wir doch auch gewohnt. Auch in einer Demokratie gibt es selten eine vollkommen hundertprozentige Meinung. Deshalb: Wir sind ja noch überhaupt nicht an dem Punkt, dass wir sehen könnten, wie wir zum Tor hinaus kommen. Aber ich würde es so sagen: Die erste Lesung lässt eher erwarten, dass es eine Mehrheit für die jetzigen Vorlagen, die ja weitergearbeitet werden, geben kann, vielleicht auch geben wird.
DOMRADIO.DE: Johannes Norpoth, ZdK-Mitglied und Sprecher des Betroffenenbeirats der Bischofskonferenz, hat die Erwartung geäußert, dass sich das ZdK konsequent auf die Seite der Betroffenen von sexualisierter Gewalt stellt. Und er will "nie wieder hören, dass Aufarbeitung Aufgabe der Bischöfe sei". Wie kann das denn gelingen für das ZdK?
Stetter-Karp: Zum ersten möchte ich antworten, dass es gar nicht notwendig ist, die Verantwortlichen in dieser Weise dazu aufzurufen, weil auch schon in der jüngsten Vergangenheit aus der Vollversammlung heraus und auch bei meinem Vorgänger Thomas Sternberg kein Zweifel war, dass wir das nur als eine Frage der Bischöfe sehen. Natürlich sind die Bischöfe maßgeblich gefragt, weil sie kirchenrechtlich die Macht in den Händen haben, um strukturell zu verändern. Und da werden wir auch nicht locker lassen können.
Aber auf der anderen Seite mussten wir ja auch selber als Laien einen Lernprozess gehen. Jetzt sage ich noch mal "wir", weil ich hier für das ZdK spreche. Das ZdK musste einen Lernprozess gehen, in der Weise, dass deutlich wurde: Es reicht eben nicht, quasi die Verantwortung nur auf eine Seite zu geben, sondern es gibt ja auch Täter und Täterinnen bei den Laien. Es gibt quasi den Co-Klerikalismus, es gibt das Wegschauen.
Wir hatten jetzt am Samstag in der Versammlung mündlich auch einen Beitrag von Münsteraner Wissenschaftlern zu der Thematik. Ich war auch zehn Jahre in der Aufarbeitung Heimerziehung in den 50er, 60er Jahren hier in Baden-Württemberg, in einem Beratungsgremium der Landesregierung, in dem selbstverständlich auch die Opfer vertreten waren. Und wenn ich das zusammennehme, dann kann ich selber nur zu der Erkenntnis kommen, dass es, so schmerzhaft es ist, eben nicht reicht, die Schuld bei anderen zu sehen, sondern auch gesellschaftlich. Nicht nur in der Kirche, dort ganz prekär, aber gesamtgesellschaftlich sehe ich das als ein wirklich prekäres, anstrengendes Thema, das uns emotional fordert.
DOMRADIO.DE: Will dann das ZdK sich auch gesamtgesellschaftlich um dieses Thema kümmern oder eher mit Fokus nur auf die Kirche?
Stetter-Karp: Es ist glaube ich notwendig, eine Priorität zu erklären. Es ist verständlicherweise schwierig, wenn wir in der jetzigen Situation diejenigen sind, die von der Gesellschaft dies oder jenes fordern. Da gilt es ja immer zuerst vor der eigenen Haustür zu kehren. Und ich glaube, das würde uns auch schnell als Bumerang zurückkommen, wenn wir da allzu nassforsch reden würden.
Dennoch gibt es Punkte, die Johannes-Wilhelm Rörig zu Recht angesprochen hat, etwa eine stärkere Verankerung der Thematik im Parlament. Das teile ich. Aber ich wäre trotzdem zurückhaltend in Forderungen und würde sagen: Erst mal müssen wir liefern. Und dazu gehören wirklich nachhaltige Strukturen der Aufarbeitung. Eben alles, was auch in der MHG-Studie schon angedeutet war, muss ja weitergearbeitet werden. Nicht nur im Sinne der Prävention, sondern auch in der Frage der Anerkennungsleistungen und so weiter.
DOMRADIO.DE: Was wünschen Sie der Kirche für die Zukunft?
Stetter-Karp: Ich wünsche mir vor allem, dass sie bereit ist, aufzubrechen. Aufzubrechen in eine unsichere Zukunft. In eine Zukunft, die in Deutschland auch von deutlichen gesellschaftlichen Spannungen geprägt ist. Und ich wünsche ihr, dass sie dabei nicht vergisst, dass der sichere Hafen noch lange nicht der Zielpunkt sein kann für Christen.
Das Interview führte Florian Helbig.