Warum wurde Kardinal Barbarin freigesprochen?

"Nie versucht, die Opfer von einer Klage abzubringen"

Ein Berufungsgericht hat Kardinal Barbarin vom Vorwurf freigesprochen, sexuelle Übergriffe eines Priesters nicht angezeigt zu haben. Wie kam es zum Freispruch und was bedeutet er für die Kirche in Frankreich? Eine Einschätzung.

Kardinal Barbarin wartet auf den Beginn seines Prozesses / © Laurent Cipriani (dpa)
Kardinal Barbarin wartet auf den Beginn seines Prozesses / © Laurent Cipriani ( dpa )

DOMRADIO.DE: Nehmen Sie das auch so wahr? Juristisch ist die Sache jetzt durch. Aber moralisch bleibt irgendwie dieser fade Geschmack?

Markus Hirlinger (Pfarrer der deutschsprachigen Gemeinde St. Albertus Magnus in Paris): Ja, juristisch ist er durch, obwohl es möglicherweise noch Revision auf zivilrechtlicher Ebene gibt. Das sagen zumindest die Opfer. Aber natürlich bleibt das große Thema, dass die Kirche in diesem Fall zu wenig Verantwortung übernommen hat. Es bleibt im Bewusstsein.

Der Kardinal hätte viel früher im Jahr 2015, als er schon von diesem Fall deutlich gehört hat, Pfarrer Bernard Preynat bereits des Amtes entheben müssen. Er hat es 2015 getan, aber er hätte es schon 2010 tun können, als er mit Pfarrer Preynat gesprochen hatte. Auch die Opfer sagen, er hätte es noch früher tun können, nämlich als die Opfer 2014 sich an ihn gewandt haben. Das heißt, Barbarin hat als Vertreter der Kirche mehr die Kirche in der Verteidigung im Blick gehabt und nicht so sehr die Opfer. Und da muss die Kirche dazu lernen.

DOMRADIO.DE: Der Vorwurf lautete ja, Kardinal Barbarin habe davon gewusst, dass besagter Priester zehn ehemalige Pfadfinder mutmaßlich missbraucht habe, und das habe er nicht angezeigt. In erster Instanz ist er dafür ja schuldig gesprochen worden. Man verurteilte ihn damals zu sechs Monaten Bewährungsstrafe. Jetzt der Freispruch. Mit welcher Begründung denn?

Hirlinger: Damals sagte man, die Anzeigepflicht beim Kardinal sei nicht verjährt. Die Begründung war: Es ging um Kinder in den Missbrauchsfällen in den Jahren 1971 bis 1991. Das wurde jetzt revidiert. Die Begründung des Freispruchs lautet nun: Der Verantwortliche in der Kirche hat keine Pflicht, Missbrauchsvorwürfe öffentlich anzuzeigen, wenn die Opfer volljährig sind und selbst Anzeige erstatten können. Wenn sie also nicht beispielsweise psychisch krank sind, dann liegt die Verantwortung bei den Opfern, die Anzeige zu erstatten und nicht beim Kardinal.

Eine zweite Begründung für den Freispruch war, dass Kardinal Barbarin nie versucht hat, die Opfer von einer Klage abzubringen. Im Gegenteil, es liegt wohl die Mail eines Opfers vor, die bestätigt, dass der Kardinal ihn ermutigt hat, eine Klage vorzubringen.

DOMRADIO.DE: Der Kardinal hat Papst Franziskus seinen Amtsverzicht angeboten. Der wiederum hatte abgelehnt und gesagt, für ihn gelte die Unschuldsvermutung. Wie reagiert der Papst jetzt? Gibt es eine Reaktion?

Hirlinger: Ja, der Papst hat insofern reagiert, dass er sich Bedenkzeit eingeräumt hat, um darüber tiefer nachzudenken.

DOMRADIO.DE: Was würden Sie sagen - was bedeutet dieser Fall für die Kirche in Frankreich allgemein?

Hirlinger: Ja, es ist schon ein großes Thema. Es zeigt, dass es der Kirche nicht darum gehen kann, sich selbst zu verteidigen, sondern dass sie versuchen muss, die Themen zu klären. Dabei geht es nicht um Klärung zwischen Verlierern und Gewinnern, sondern darum, dass gemeinsamen versucht, solche Situationen zu verhindern. Die Kirche muss jetzt einen Beitrag dafür liefern, dass in dieser Gesellschaft - in Vereinen, in Familien und überall - das Thema mutiger angegangen wird.

Das Gespräch führte Verena Tröster. 


Markus Hirlinger / © Hirlinger (privat)
Markus Hirlinger / © Hirlinger ( privat )
Quelle:
DR
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