KNA: Herr Bischof, in einigen Regionen Nigerias wie Zamfara und Kaduna kommt es regelmäßig zu Entführungen. Wie sieht die Situation in Kano aus?
John Namaza Niyiring (Katholischer Bischof von Kano, Nigeria): Aktuell habe ich von keiner Entführung gehört. 2016 ist allerdings einer unserer Priester entführt worden. Nach 14 Tagen ließen ihn seine Entführer frei. Danach gab es vor allem auf dem Land ein paar Vorfälle. Menschen, von denen man meinte, sie seien wohlhabend oder hätten wohlhabende Verwandte, wurden zu Opfern. Gegen eine Lösegeldzahlung wurden auch sie freigelassen.
KNA: Das heißt, die Lage in Kano ist aktuell etwas friedlicher als in anderen Bundesstaaten?
Niyiring: Auf jeden Fall. In Kaduna sind kürzlich ein Pastor und einige Gemeindemitglieder entführt worden. Jeden Tag gibt es Vorfälle und Menschen kommen ums Leben. Das passiert, wenn das geforderte Lösegeld nicht gezahlt wird. Dann ist alles möglich. Im Alltag heißt das: Wenn man nicht wohlhabend ist, hat man Angst, mit dem Auto in einige Regionen Nigerias zu reisen und bleibt lieber zu Hause. Wer Geld hat, nimmt stattdessen das Flugzeug. Generell lässt sich sagen, dass heute jeder in Nigeria Angst wegen der unsicheren Lage hat und nicht selbst zum Opfer werden will.
KNA: Wer steckt dahinter?
Niyiring: Banditen. Sie arbeiten zusammen. Für sie ist es heute lukrativer, Menschen anstatt Autos zu stehlen. Bei einer Entführung kann man ein Lösegeld von mehreren Millionen Naira verlangen und die Verwandten tun alles, um an das Geld zu kommen. Für jeden im Land sind es schwierige Zeiten.
KNA: Für die Sicherheit sind Polizei und Armee verantwortlich. Trägt auch die Kirche dazu bei?
Niyiring: Sie hat es bereits getan. Vor unserer Kathedrale stehen rund um die Uhr Polizisten, für die wir bezahlen. Bevor Boko Haram 2012 zum ersten Mal angriff, waren unsere Kirchen auch nicht von dicken Mauern umgeben, die ziemlich teuer sind.
Außerdem haben wir junge Menschen angestellt, die ebenfalls für Sicherheit sorgen. Wir haben ihre Ausbildung bezahlt. Sie haben keine Waffen, melden sich aber sofort, sobald sie ein mögliches Risiko entdecken. Auch unsere Schulen und Internate werden rund um die Uhr überwacht.
KNA: Boko Haram hat im Januar 2012 einen schweren Anschlag in Kano verübt, durch den knapp 200 Menschen ums Leben kamen. Welche Folgen sind bis heute spürbar?
Niyiring: Innerhalb der Kirche sprechen noch viele Menschen darüber. Gerade in diesem Stadtteil hat es viele Opfer gegeben. Vor dem Anschlag waren viele Anhänger von Boko Haram in den chinesischen Restaurants in der Nähe. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wir haben Schüsse und Explosionen gehört. Jeder, der jemanden verloren hat, wird sich immer daran erinnern. Es war fürchterlich.
Hilfreich ist jedoch, wie hier viele Menschen damit umgehen. Man sieht es als Schicksal und Gottes Wille an. Gleichzeitig wird das Leben weitergehen. Diese Denkweise ist bei Muslimen, aber auch vielen Christen weit verbreitet.
KNA: Anders als in anderen Gegenden Nigerias sind Christen in Kano eine kleine Minderheit. Findet dennoch ein interreligiöser Dialog statt?
Niyiring: Es gab einige Versuche, die aber nicht immer erfolgreich waren. Anfangs gab es eine Gruppe von Regierungsmitgliedern, die sich um den Dialog gekümmert haben. Sie sind aber nicht mehr hier.
Trotzdem gibt es einen informellen Austausch mit dem Emir und dem Gouverneur. Als Minderheit ist es jedoch schwierig, einen Dialog voranzutreiben. Die Einstellung der Mehrheitsseite lautet: Die Minderheit muss das nehmen, was wir ihr geben. Wir brauchen sie gar nicht.
KNA: Gibt es dennoch positive Entwicklungen?
Niyiring: Wir haben vor den Wahlen ein Friedenskomitee gegründet, und ich bin einer der Vorsitzenden. Die Zusammensetzung war sehr gut. Es gab Christen und Muslime, Menschen aus dem Norden und Süden.
Vor den Wahlen ist es uns zweimal gelungen, die bedeutendsten Kandidaten zusammenzubringen, um ein Friedensabkommen zu unterzeichnen. Wir waren zwar nicht hundertprozentig erfolgreich, es blieb aber überwiegend ruhig. Ohne das Abkommen wäre es schlimmer gewesen.
KNA: Welche Herausforderungen treffen Christen generell im Alltag, hier im muslimisch geprägten Norden?
Niyiring: Das sind Bauplätze für Kirchen. Die Regierung muss den Bau genehmigen. Die Kirchen, die es in Kano gibt, sind überwiegend in der Kolonialzeit entstanden. Seit der Unabhängigkeit sind nur wenige hinzugekommen.
Eine Ausnahme gab es 1996, als wir die Sankt-Karls-Kirche bauen konnten. In der Militärära war der damalige Gouverneur ein Katholik und hat das gefördert. Schwierigkeiten gibt es auch, weil gerade im ländlichen Bereich immer wieder Menschen zu einer anderen Religion konvertieren. Das birgt Probleme und Diskussionen.