Hilary Anyanwu Okorie trägt ein braunes Hemd mit aufgedruckten Elefanten. Um den Hals des Agrarwissenschaftlers baumelt eine lange goldfarbene Kette mit dem Davidstern. Das jüdische Symbol ist auch gleich mehrfach auf seiner weiß-rot-grünen Mütze zu sehen. In der Synagoge von Owerri, Provinzhauptstadt des Bundesstaats Imo im Südosten Nigerias, zeigt Okorie stolz, dass er zum Judentum übergetreten ist. "Das ist keine zwei Jahre her. Vorher war ich Christ. Doch die Wahrheit liegt für mich nicht im Neuen Testament, sondern in der Thora", sagt er. Die gut 20 Männer, die ebenfalls zum Beten in die Synagoge gekommen sind, nicken zustimmend.
In dem westafrikanischen Land leben mehr als 200 Millionen Menschen. Wie viele Juden darunter sind, weiß indes niemand. Die Gemeinde von Owerri hat eigenen Angaben zufolge mehr als 100 Mitglieder, Kinder und Jugendliche nicht eingeschlossen. Mitunter wird landesweit von 30.000 gesprochen, in jüdischen Kreisen sogar von drei Millionen. Auffällig ist, dass in den vergangenen 30 Jahren im Südosten des Landes, in der Hafenmetropole Lagos und der Hauptstadt Abuja eine Reihe von Synagogen entstanden ist. Dort werden Jom Kippur, Sukkot und Chanukka gefeiert, man betet auf Hebräisch und liest jüdische Literatur.
Von der israelischen Regierung nicht anerkannt
Es gibt ein weiteres verbindendes Element: Die meisten zum Judentum Übergetretenen sind Igbo. Mit 30 bis 40 Millionen Menschen sind die Igbo eine der größten ethnischen Gruppen im Land. Viele von ihnen träumen bis heute von einem eigenen Staat. Dafür wurde bereits grausam im Biafra-Krieg (1967-1970) gekämpft. Der Südosten war der nigerianischen Armee jedoch schnell unterlegen.
Heute schürt Nnamdi Kanu, Chef der seit 2017 verbotenen Bewegung Indigene Menschen für Biafra (IPOB), diese Hoffnungen. Kanu, der oft gegen den nigerianischen Staat agitiert, hält sich im Ausland auf. Und bei jeder Gelegenheit betont er, Jude zu sein. Okorie hat sich nach eigenen Worten von ihm inspirieren lassen: "Ich habe ihm zugehört, was mich zum Umdenken gebracht hat." Jüdisch zu sein gilt deshalb auch als politisches Statement.
Anerkannt sind die nigerianischen Juden von der israelischen Regierung jedoch nicht. Das gilt auch für Juden, die beispielsweise aus Ghana und Kamerun stammen. Eine Ausnahme machen die Beta Israel aus Äthiopien.
"Der Mut, sich zum Judentum zu bekennen"
Der 34-jährige Avraham Ben Avraham, ein Blogger aus Lagos, kritisiert das. Er ist vor drei Jahren zum Judentum übergetreten, hat aber Schwierigkeiten, nach Israel zu reisen. "Beim Visumsantrag muss ich meine Religion angeben. Muslim stimmt nicht, Christ auch nicht. Schreibe ich Jude, ist man sehr skeptisch." Über den Giur, den Übertritt, muss schließlich ein rabbinisches Gericht entscheiden.
Auch ist eine Prüfung notwendig, deren Vorbereitung mehrere Jahre dauert - die jedoch vielen nigerianischen Juden fehlt. Auch Okorie hat sie nie abgelegt. "Der Mut, sich zum Judentum zu bekennen, reicht doch aus", meint er. Doch Israel reicht das nicht. Schließlich geht es um viel: Nach dem 1950 erlassenen Rückkehrergesetz dürfen Personen jüdischer Herkunft und jüdischen Glaubens nach Israel einwandern.
"Ich habe sie wiedergefunden"
Unterstützung gibt es aber von US-Organisationen wie Kulanu. Sie gründete sich 1994 und hat ihren Sitz in New York. Ziel ist es, eine "inklusive jüdische Welt" zu schaffen. Deshalb sucht Kulanu den Kontakt zu Juden in Afrika und hilft beim Aufbau von Netzwerken. Nigerias Juden berufen sich darauf, über einen der zwölf Stämme Israels, den Stamm Gad, nach Afrika gekommen zu sein. Avraham erklärt, für ihn sei die Entscheidung für das Judentum vor allem eine Rückbesinnung auf die alte Religion, die während der Kolonialzeit durch christliche Missionare verdrängt worden sei. "Ich habe sie wiedergefunden."
Häufig wird das Judentum mit Traditionen der Igbo vermischt. In der Synagoge von Owerri werden etwa nach dem Gottesdienst, der denen in anderen Synagogen der Welt ähnelt, Kola-Nüsse verteilt. Die kleinen, bitter schmeckenden Nüsse sind als Zeichen der Begrüßung vielfach ein selbstverständlicher Brauch. Für Hagadol Ephraim Uba, örtlicher Vorsitzender der Vereinigung des jüdischen Glaubens, passt beides zusammen: "Kola-Nüsse gehören dazu, um jemanden willkommen zu heißen."
Uba ärgert sich darüber, dass auch Nigerias Regierung das Judentum nicht anerkennt. "In Nigeria wird samstags gewählt. Doch der Sabbat ist unser Ruhetag. Will man uns von den Wahlen abhalten?" Zudem werde im Land kein einziger jüdischer Feiertag offiziell gefeiert. Für Okorie gibt es deshalb nur einen Ausweg: "Wir brauchen unseren eigenen Staat. Nach der Unabhängigkeit wird sich das ändern."