NRW-Minister Liminski hofft auf Kirchen für Zukunft Europas

"Deutlich aktiverer Beitrag wünschenswert"

Bei der Bewältigung aktueller Krisen hat Europa einen Mehrwert, sagt NRW-Europaminister Nathanael Liminski. Der Katholik wird bei einer Veranstaltung im Augustinus-Forum über die Zukunft Europas debattieren und setzt auf die Kirchen.

Nathanael Liminski / © Bernd Thissen (dpa)
Nathanael Liminski / © Bernd Thissen ( dpa )

DOMRADIO.DE: Es gab den Brexit, die Pandemie, den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, aktuell die Einwanderung und den Klimawandel. Bei all diesen Themen wurde immer wieder deutlich, wie wenig Europa in der Lage ist, mit einer Stimme zu sprechen. Was macht Sie zuversichtlich, dass es die Europäische Union in 50 Jahren noch gibt? 

Nathanael Liminski / © Marius Becker (dpa)
Nathanael Liminski / © Marius Becker ( dpa )

Nathanael Liminski (Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten, Internationales sowie Medien des Landes Nordrhein-Westfalen): Ich glaube, wir haben bei der Bewältigung dieser Krisen, die Sie gerade aufgezählt haben, gesehen, welchen Mehrwert Europa hat. Zum Beispiel bei der Sicherheitspolitik mit Blick auf die Ukraine-Krieg oder in der Frage, wie wir eine Jahrhundert-Herausforderung wie die Pandemie bewältigen. Auch in der Frage, wie wir unsere Stimme Europas aktuell im Nahostkonflikt einbringen können.

Da hätten wir doch ein viel größeres Problem, wenn wir nicht gemeinsam auftreten könnten, sondern alle nur einzeln als kleine Staaten im weltweiten Vergleich. Das ist ein Mehrwert Europas. Wir können dadurch unsere Werte, für die wir einstehen, die uns als europäisches Friedensprojekt auszeichnen, weltweit zum Besten für die Menschen einbringen.

Dafür müssen wir allerdings einig sein. Konsens herzustellen, Kompromisse zu machen, das ist mühsam, das ist kompliziert, das ist auch manchmal unübersichtlich. Aber ich kenne keine bessere Alternative.

DOMRADIO.DE: Ist sie denn noch eine Europäische Union mit gemeinsamen Werten und nicht nur ein gemeinsamer Wirtschaftsraum, in dem sich jeder das nimmt, was er braucht?

Liminski: Das ist eine sehr berechtigte Frage. Wir feiern in diesen Tagen 30 Jahre EU-Binnenmarkt. Der Binnenmarkt ist das, was nie angetastet wird, weil alle da sofort den Mehrwert erkennen.

Der Binnenmarkt ist allerdings nie ein rein wirtschaftliches Projekt gewesen, sondern hat immer auch eine Werteordnung zum Ausdruck gebracht, hat immer auch Dinge zum Ausdruck gebracht: Stichwort Nachhaltigkeit, Verbraucherschutz, Arbeitsschutz, Gesundheit.

Da zeigt sich, dass die Art und Weise, wie wir in Europa wirtschaften, auch etwas darüber aussagt, welche Werte wir haben. Das muss uns in anderen Bereichen, etwa der Außen- und Sicherheitspolitik, mit Blick auf unser Rechtssystem genau in gleicher Weise gelingen. 

Nathanael Liminski

"Aber das ist ein Kampf, denn es gehört zur Wahrheit dazu, dass Europa mittlerweile auch von innen herausgefordert wird."

Aber das ist ein Kampf, denn es gehört zur Wahrheit dazu, dass Europa mittlerweile auch von innen herausgefordert wird. Wenn ich etwa an das Gebaren Ungarns denke, wenn ich an manche Einlassungen aus Polen denke, sind das Dinge, die sozusagen auch unsere Rechtsordnung, unsere Werteordnung mitunter infrage stellen.

Das müssen wir miteinander aushandeln. Ich sage direkt dazu, das heißt nicht, dass das, so wie es in Brüssel gerade gedacht wird, immer unbedingt der Weisheit letzter Schluss sein muss. Aber wir müssen darum kämpfen, dass Europa immer mehr ist als nur die Verknüpfung von 27 wirtschaftlichen Einzelinteressen.

DOMRADIO.DE: Europas Werte fußen auf den jüdisch-christlichen Traditionen. Aber die Säkularisierung schreitet immer weiter voran. Macht Ihnen das Sorgen, dass uns da ein Orientierungspunkt abhandenkommen könnte? Oder geht es auch ohne?

Liminski: Es ist offenkundig so, dass vieles, was Menschen heute als europäische Werte bezeichnen würden, ohne den jüdischen Hintergrund, ohne den christlichen Hintergrund, ohne die Rechtstradition aus dem Griechischen und Römischen überhaupt nicht denkbar wäre.

Daran kann man erinnern, daran muss man vielleicht auch erinnern, immer dann, wenn es darum geht, diese Werte neu in die Zeit zu übersetzen. Das müssen wir tun. Wir müssen auch dafür werben, dass sie weiterhin mehrheitsfähig bleiben und keine Gleichgültigkeit, kein Relativismus einkehrt.

Es ist allerdings schon so, dass es schwieriger geworden ist dafür zu werben. Denn Europa ist vielfältiger geworden, nicht zuletzt auch durch Einwanderung. Insofern müssen wir, glaube ich, als Gesellschaften in Europa und wenn man so will auch als europäische Gesellschaft über viele Dinge expliziter diskutieren, von denen man vielleicht früher gesagt hat, das sind doch selbstverständliche Annahmen, die brauche ich gar nicht mehr ins Wort bringen. Das ist sozusagen unausgesprochener Konsens. 

Es gibt diesen unausgesprochenen Konsens immer weniger. Umso mehr müssen wir das auch ganz aktiv zum Thema machen und müssen natürlich auch darüber streiten und argumentieren und mit guten Argumenten überzeugen. Die Weitergabe von Werten allein über Tradition hat deutlich abgenommen.

Das wird vielfach bejammert oder beklagt. Ich sehe darin nicht unbedingt nur einen Nachteil, weil das vielleicht auch eine Form von Aufklärung und Emanzipation ist. Die Menschen müssen sich das aktiv selbst zu eigen machen.

Man muss sich frei dafür entscheiden. Dafür allerdings braucht es starke Kirchen, die das auch ins Wort bringen. Hier würde ich mir ehrlicherweise manchmal einen deutlich aktiveren Beitrag auch unserer großen Kirchen in der europäischen Debatte wünschen.

DOMRADIO.DE: Nächstes Jahr ist Europawahl. Wie groß ist Ihre Sorge, dass die Rechtspopulisten noch stärker werden könnten?

Liminski: Wir haben aktuell eine Situation, die tatsächlich als gefährlich zu beschreiben ist. Wir haben zum einen sicherheitspolitische Erschütterungen durch den Ukraine-Krieg, durch den Nahostkonflikt. Wir haben zum anderen eine Migrationskrise, die Identitätsfragen in unserer Gesellschaft aufwirft.

Das alles trifft auf Menschen, eine Bevölkerung, die aktuell aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung sich mehr als sonst Sorgen um den eigenen Arbeitsplatz macht. Das ist ein gefährliches Gemisch.

Natürlich machen sich in solchen angsterfüllten Zeiten gerade auch Populisten und Extremisten daraus ihr politisches Programm und ihr politisches Kapital. Umso mehr müssen wir daran arbeiten, Probleme zu lösen.

Da ist beim Thema Migration, was momentan ganz oben steht, vor allen Dingen die Bundesregierung gefragt. Denn es ist so, wie Ihre Frage schon intoniert. Die Gefahr ist real, dass bei einer Protestwahl - und viele Menschen wählen bei Europawahlen nach wie vor, um Protest zu demonstrieren - die Gefahr groß ist, dass erstmals die AfD als stärkste politische Kraft vom Platz geht. 

Nathanael Liminski

"Das wäre ein immenser internationaler Schaden für Deutschland."

Das wäre ein immenser internationaler Schaden für Deutschland. Neben der Frage, dass das auch für die Mehrheitsbildung im Europäischen Parlament nicht zuträglich wäre.

Deswegen müssen wir dagegen gemeinsam kämpfen, und zwar rechtzeitig. Das heißt jetzt. Man darf nicht nur die Betroffenheit für den Tag danach vorbereiten, sondern muss daran arbeiten, Lösungen zu erarbeiten, damit gar nicht erst der Boden bereitet für Populisten und ihren angsterfüllten Wahlkampf ist.

DOMRADIO.DE: Sie werden am Mittwochabend beim Augustinus-Forum in Neuss über die Zukunft Europas diskutieren. Was ist da Ihre Botschaft?

Liminski: Ich glaube, dass wir alle Chancen haben. Wir haben so viel Wissen wie noch nie. Wir haben Technologie. Wir haben Fähigkeiten, die uns eigentlich in die Lage versetzen, mit den Krisen dieser Zeit klarzukommen.

Deswegen müssen wir diesen Konsens herausstellen, müssen darin übrigens auch etwas Positives sehen, Kompromiss nicht als Abkehr von der reinen Lehre verdammen, sondern als das, was uns als Demokratie auszeichnet, wahrnehmen. 

Nathanael Liminski

"Ich will dafür werben, dass wir ein neues Bewusstsein dafür kriegen, welchen riesigen Vorteil wir davon haben, dass auf diesem Kontinent Freiheit herrscht."

Das in Europa so zu übersetzen, dass es weiterhin ein Sehnsuchtsort für Menschen aus der ganzen Welt bleibt, ist es, wofür ich werben will. Ich will dafür werben, dass wir ein neues Bewusstsein dafür kriegen, welchen riesigen Vorteil wir davon haben, dass auf diesem Kontinent Freiheit herrscht.

Die Freiheit zu leben, wie ich will, ein Unternehmen zu gründen oder anderes zu tun. Um diese Freiheit beneiden uns viele Menschen weltweit. Wenn die Krisen dieser Zeit ein Gutes haben, dann, dass wir uns diesen Wert vielleicht noch einmal neu vor Augen führen. Für den müssen wir aber von innen heraus kämpfen.

Das Interview führte Dagmar Peters. 

Augustinus Forum

Das Augustinus Forum ist eine Gründung der Stiftung cor unum der Neusser Augustinerinnen. Es setzt sich mit gesellschaftlichen, politischen und kirchlichen Themen auseinander und fragt nach den Grundlagen persönlichen und gesellschaftlichen Lebens. Das Forum ist ein Ort der Verständigung über tragende Wertvorstellungen als wichtige Orientierungsmarken. (Quelle: Augustinus Forum)

Augustinus Forum (St. Augustinus Gruppe)
Quelle:
DR