domradio.de: Seit ein paar Wochen läuft nun die Kampagne "Rio bewegt. Sich" in Brasilien, in Deutschland heißt sie "Rio bewegt. Uns". Welche Ziele verfolgen Sie mit der Kampagne?
Padre Leandro Lenin (Olympiapfarrer aus Rio de Janeiro): Ein Hauptschwerpunkt sind die sozialen Projekte in Rio de Janeiro, die von Deutschland aus unterstützt werden. Diese Projekte helfen besonders Kindern und Jugendlichen aus armen Verhältnissen, die am Rande der Gesellschaft leben. Dann gibt es noch weitere Aspekte, die besonders die Stadt Rio de Janeiro betreffen. Die Olympischen Spiele sollen nicht nur den Sport in die Stadt bringen, sondern auch den Frieden. Sie sollen nachhaltig wirken und besonders auch den Umweltschutz und die Wasserqualität in Rio verbessern.
Rio de Janeiro und ganz Brasilien setzen sich dafür ein, dass es wunderbare Spiele werden, aber die Besucher, die Touristen sollen nicht nur sehen, was ihnen kurz gezeigt wird, nämlich eine wunderbare Stadt. Sie sollen auch hinter die Fassade der Stadt blicken, um auch die Probleme zu sehen, die es in Rio gibt und die die Realität der Menschen zeigen.
domradio.de: Was bedeuten solche Großereignisse, wie die Weltmeisterschaft oder jetzt die Olympischen Sommerspiele für ein Land wie Brasilien?
Padre Leandro: Wir durchleben gerade eine sehr intensive Phase in Brasilien. Die Stadt Rio de Janeiro wird der Welt jetzt schon seit ein paar Jahren gezeigt und vorgeführt. Eigentlich zeigen wir damit, dass wir das können, dass wir solche Großereignisse organisieren können, dass das wunderbare Ereignisse sind, die die ganze Welt und die Menschen in Brasilien mitreißen.
Wir zeigen der Welt aber auch die Probleme, wie zum Beispiel ein mangelndes Bildungs- und Gesundheitssystem. Wir möchten, dass unter anderem die Infrastruktur, die durch diese Spiele entsteht, nachhaltig bleibt. Auch die Sicherheit ist ein wichtiges Thema. Während der Olympischen Spiele wird Rio eine 100 Prozent sichere Stadt sein. Da ist überall Polizei aktiv und alles wird abgesichert sein. Aber bleibt das auch nach den Spielen? Das ist etwas, was uns Sorgen macht. Wir wollen eine nachhaltige Sicherheit hier haben. Besonders jetzt in Zeiten der politischen Krise wird das Volk auch nicht zulassen, dass alles wieder so zurückgeht, wie es vorher war.
domradio.de: Profitieren die Menschen in Brasilien denn wirklich von dieser Infrastruktur? Der Fall der Vila Autódromo zeigt etwas anderes, die Favela ist weitgehend zerstört und auf dem Gelände sollen Luxusimmobilien entstehen.
Padre Leandro: Ein Aspekt ist die Modernisierung der Stadt. Natürlich bringen die Olympischen Spiele Entwicklungen in die Stadt, aber gleichzeitig darf diese Entwicklung nicht die Menschen vergessen. Die Menschen müssen davon profitieren und nicht verlieren, was hier leider passiert. Menschen dürfen nicht nur ein Teil auf einer To-Do-Liste sein, die man abarbeitet. Man muss mit den Menschen sprechen. Was in der Vila Autódromo passiert ist, ist ein klares Signal: Wir müssen immer noch lernen, wie man mit Menschen umgeht und dass man mit ihnen in den Dialog treten muss. Die Kirche hat aber eine sehr große Wirkung in der Vila Autódromo. Das Kirchengebäude steht dort auch noch, und wir sind im Dialog mit den Menschen und unterstützen sie. Es gibt viele Menschen, die von dort weggezogen sind, aber die, die dort noch leben, werden stark von der Kirche unterstützt. Es ist natürlich traurig zu sehen, dass so ein Großevent, was selber davon spricht ein Event des Friedens zu sein, gleichzeitig so viel Leid über eine bestimmte Gruppe von Menschen bringt.
domradio.de: Sie stehen im direkten Kontakt mit den Menschen vor Ort. Wie nehmen sie die derzeitigen Vorgänge wahr?
Padre Leandro: Wir befinden uns in einer sehr speziellen Situation, denn die Zeit zwischen der Weltmeisterschaft und den Olympischen Spielen war eine intensive Zeit. Es gab sehr hohe Erwartungen nach der WM an die Spiele, aber viele Aspekte, die danach als positiv erwartet wurden, haben sich nicht eingestellt. Leider wurden wir im Hinblick auf die brasilianische Politik auch ein bisschen enttäuscht. Dann wurden die ganzen Korruptionsfälle entdeckt, in denen gerade ermittelt wird. In dieser Zwischenzeit haben die Menschen besonders in Rio gedacht, dass mit den Spielen alles besser wird. Jetzt liegt aber der Fokus gerade nicht so auf den Olympischen Spielen, sondern auf der politischen Krise, die in Brasilien herrscht.
domradio.de: Im Sport spricht man immer von Chancengleichheit. Kann diese auch für Brasilien geltend gemacht werden?
Padre Leandro: In dieser Hinsicht kann Sport für uns ein gutes Beispiel sein. Im Sport braucht man Fairplay, Fairness, und Gerechtigkeit, um eine Goldmedaille zu gewinnen. Es sind Eigenschaften, die man mitbringen muss und das ist auch das, was wir in Brasilien brauchen. Alle Menschen, die in Brasilien für das Gute kämpfen, bringen solche Eigenschaften mit. Wenn man sich also für Gerechtigkeit und für Gleichheit einsetzt, bringt das unserem Land die Prämien, die Goldmedaillen ein, die wir so sehr brauchen, denn Brasilien hat zahlreiche Probleme. Aber mit Fairness und Demokratie können wir dafür kämpfen, dass sich in Brasilien mehr Gleichheit einstellt und die Sportler, die antreten, sind für uns eine Inspirationsquelle.
Das Gespräch führte Theresa Meier.