Ordensfrau aus Lüttich erfindet Fronleichnam

Juliana hat eine Vision

Fronleichnam (mittelhochdeutsch für "Herrenleib") ist für viele Menschen das seltsamste Fest der Katholiken. Eine Ordensfrau rief das Fest fast im Alleingang ins Leben.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Vision der Juliana von Lüttich  / © KNA (KNA)
Vision der Juliana von Lüttich / © KNA ( KNA )

Frömmigkeit und Hartnäckigkeit, das waren die Antriebsfedern einer ungewöhnlichen Kirchen-Geschichte. Sie spielt in der Region Lüttich, im Hochmittelalter, und handelt von einer Ordensfrau, die fast im Alleingang eines der katholischsten Feste überhaupt ins Leben rief. Mit 16 Jahren hatte die später heiliggesprochene Juliana aus dem Kloster der Augustinerinnen auf dem Mont Cornillon eine Vision - die in erster Konsequenz zu ihrer Vertreibung aus dem Kloster und in zweiter Konsequenz zur Einführung des Fronleichnamsfestes führte.

1192 in Retinne bei Lüttich geboren, wurde das Mädchen aus betuchtem Hause mit fünf Jahren zur Vollwaisen. Schon früh fiel Juliana, die in die Obhut einer Ordensfrau des Wirtschaftshofes auf dem Mont Cornillon kam, durch zwei Besonderheiten auf: durch ihren Wissensdrang und die Anziehung, die die Kapelle und vor allem der Tabernakel mit der geweihten Hostie auf sie ausübten.

Vision von Mondscheibe

Zum zentralen Ereignis ihres Lebens wurde eine Vision im Jahr 1209, die sich später mehrfach wiederholte. Ins Gebet versunken, sah sie die Mondscheibe mit einem kleinen schwarzen Fleck darauf - ein seltenes Himmelsphänomen: Die Venus schiebt sich als dunkler Fleck vor der Sonne her. Diese "Venustransit" genannte Konstellation wird übrigens erst in 100 Jahren, 2117, tatsächlich wieder am Himmel zu beobachten sein.

Nach Gesprächen mit Theologen deutete Juliana ihre Erscheinung schließlich als Weisung Christi: Der Mond stehe für das Kirchenjahr, der Fleck aber für das Fehlen eines Festes zur Verehrung der heiligen Hostie. Über Jahrzehnte behielt Juliana diesen Auftrag für sich. Als sie schließlich 1230 zur Oberin ihres Klosters gewählt wurde, erntete sie mit ihrem Vorstoß Spott und Widerspruch. War es aufgrund dieser "religiösen Schwärmerei" oder aufgrund ihres strengen Führungsstils, dass man sie aus ihrem Konvent vertrieb?

Ekstatische Verehrung der Eucharistie

Mit einigen Getreuen begann Juliana ein Wanderleben zwischen mehreren Klöstern der Region. Seit 1248 lebte sie als Reklusin in Fosses - freiwillig eingeschlossen, um dort Gott allein zu dienen. Zehn Jahre später, 1258, starb sie dort. Papst Urban IV. - als Jakob von Troyes bis 1251 Erzdiakon in Lüttich, Beichtvater und einer der wenigen Vertrauten Julianas - erhob das "Hochfest des Leibes und Blutes Christi" 1264, sechs Jahre nach ihrem Tod, zum allgemeinen Kirchenfest. Das mittelhochdeutsche "vronlicham" bedeutet ebendies: "Herrenleib".

Julianas ekstatische Verehrung der Eucharistie war eine Frömmigkeitsform, die für ihre Umgebung typisch war. Fronleichnam ist ein Schaufest, entstanden in einer Zeit, als die aktive Teilnahme der Gläubigen am liturgischen Geschehen weitgehend durch das Zusehen beim "heiligen Spiel»" der Priester ersetzt worden war.

Herrschaftsrituale des Kaiserkults

Die frühen Christen kannten noch keine Verehrung der geweihten Hostie. Erst nachdem das Christentum im vierten Jahrhundert Staatsreligion wurde, übernahm es viele Herrschaftsrituale des Kaiserkults. Die Liturgie und die Eucharistie wurden mehr und mehr zum Schau-Spiel. Die Idee des gemeinsamen Mahls trat zurück.

Schon in den 1270er Jahren verlief die erste Fronleichnamsprozession, die dem Fest sein außergewöhnliches Gepräge geben sollte, durch die Straßen von Köln. Ein solcher Umzug war bei der päpstlichen Einsetzung ursprünglich gar nicht vorgesehen gewesen - und doch passt er zu Fronleichnam als Sinnbild gelebten Christentums. Die Prozession steht für das Ziehen des Gottesvolkes durch die Zeit.

Kritik von Luther

Martin Luther galt Fronleichnam als das "allerschädlichste Jahresfest"; Prozessionen waren für ihn Gotteslästerung. Für die Katholiken war der Umzug zu Fronleichnam vielfach eine kämpferische und prachtvolle Demonstration ihrer Frömmigkeit. In der NS-Zeit, der großen Zeit der politischen Aufmärsche, war der Zug der Gläubigen durch die Stadt vielerorts ein Akt passiven politischen Widerstands. Eine Dimension, die die fromme Ordensfrau Juliana sicher nicht im Blick hatte.


Quelle:
KNA