DOMRADIO.DE: Seit über zehn Jahren steht Franziskus als Papst auch für eine gewisse Unberechenbarkeit. Andererseits ging der Ernennung der Präfektin der vatikanischen Ordensbehörde auch eine Kurienreform voraus. Was haben Sie gedacht, als am Montag bekannt wurde, dass eine Ordensfrau und damit eine Laiin erstmals in der Vatikan-Geschichte ein Dikasterium leiten soll?
Schwester Anna Mirijam Kaschner (Generalsekretärin der Nordischen Bischofskonferenz und Teilnehmerin der Weltsynode, die 2024 endete): Mich hat das überrascht, muss ich zugeben. Im zweiten Anlauf habe ich gedacht: 'Das ist wieder typisch Franziskus.' Er kann einen immer wieder überraschen. Und als ich die Nachricht etwas sacken ließ, habe ich mich sehr gefreut. Es waren bis jetzt immer Männer in solchen Positionen, die dann auch über Ordensfrauen entschieden haben, deswegen glaube ich, dass es wichtig ist, dass wir jetzt eine Ordensschwester in dieser Position haben. Zum anderen glaube ich, dass Franziskus das sehr gut geregelt hat. Damit hat er nämlich schon einige Punkte der Weltsynode umgesetzt.
DOMRADIO.DE: Es gibt weltweit deutlich mehr Ordensfrauen als Ordensmänner. Ist vor diesem Hintergrund die Entscheidung des Papstes nachvollziehbar?
Sr. Anna Mirijam: Es gibt ein Konglomerat von Gründen für Franziskus. Hintergrund ist sicherlich, dass er die Position der Frau in leitenden Rollen stärken möchte, innerhalb der Kirche. Schon in der Vergangenheit hat er wichtige Positionen im Vatikan mit Frauen besetzt. Nach der Synode hat er diese Vorschläge ganz konkret aufgegriffen. Er bringt nicht nur Frauen in leitende Positionen. Es war auch Thema bei der Synode, dass Ordensleute mit leitender Funktion gestärkt werden sollen. Indem er Schwester Brambilla zur Leiterin des Dikasteriums ernannt hat, werden gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen.
DOMRADIO.DE: Und dennoch ist die Leitungs- und Entscheidungskompetenz in der katholischen Kirche immer noch sehr stark mit einer Weihe verbunden, die nur für Männer möglich ist. Kann dann ein solches Konstrukt mit einer Ordensfrau als Präfektin und einem Kardinal als Pro-Präfekten überhaupt funktionieren?
Sr. Anna Mirijam: Das wird sich mit den Jahren zeigen. Ich habe die Diskussion natürlich auch verfolgt. Kirchenrechtler haben ihre Bedenken geäußert. Aber Papst Franziskus hat den Weg mit der Kurienreform schon ein wenig geebnet. Unter anderem hat er in dem Schreiben Praedicate Evangelium gesagt, dass die leitende Funktion von Vatikanbehörden durchaus in die Hände von Laien gegeben werden kann. So wie ich das jetzt verstanden habe, gibt es auch da immer wieder Aufgaben, die ein Geweihter übernehmen muss. Dafür hat er ihr den Kardinal an die Seite gestellt. Es wird sich jetzt zeigen, wie die beiden miteinander klarkommen. Es ist natürlich sehr ungewöhnlich für unsere katholischen Ohren, dass ein Kardinal in der Hierarchie unter einer Ordensschwester steht.
Durch die Synode, an der ich ja auch teilgenommen habe, habe ich die Erfahrung gemacht, dass es Franziskus hauptsächlich darum geht, das Miteinander zu stärken. In dieser Sache geht es gar so sehr um Macht und Hierarchie, sondern um eine Ergänzung von verschiedenen Fähigkeiten, von verschiedenen Charismen. Und da scheint es mir so zu sein, dass er mit dieser Entscheidung einen großen Schritt in die Zukunft gegangen ist.
DOMRADIO.DE: Als Ordensfrau und Generalsekretärin der Deutschen Bischofskonferenz haben Sie sehr viel Leitungserfahrung gesammelt und sich auch im Umfeld von Bischöfen und Priester bewegt. Wie schwer ist es für eine Frau, sich in einem solchen Umfeld zu behaupten?
Sr. Anna Mirijam: Bei uns im Norden ist es gar nicht mal so schwer, weil wir in allen Bereichen eine sehr flache Hierarchie haben, völlig egal, ob Sie ein Universitätsprofessor oder ein Chefarzt im Krankenhaus sind. Wir haben überall das Du als Anrede. Man redet die Leute mit Vornamen an. Sowas wie Herr Prälat, Herr Bischof oder Frau Doktorin gibt es hier gar nicht. Die ganze Mentalität ist auf flache Hierarchien eingestellt. Es geht um ein Miteinander.
Dazu kommt, dass "meine" Männer, so nenne ich die Kollegen hier immer, meine Arbeit schätzen. Dann kommt es gar nicht so darauf an, ob ich eine Frau bin oder nicht. Es geht um das Miteinander, um das Vertrauen, das wir einander schenken. Ich fahre damit sehr gut, muss ich sagen. Ich weiß allerdings nicht, ob das übertragbar auf Rom wäre. Da müsste man vielleicht meine Kolleginnen in Deutschland fragen, wie sie das erleben, in anderen Diözesen. So etwas wie Grabenkämpfe, oder dass ich mich hätte behaupten müssen in der Männergesellschaft, das gab es bei mir nie. Im Gegenteil.
DOMRADIO.DE: Der Synodale Weg in Deutschland hat sich auch für eine stärkere Rolle der Frauen in der Kirche starkgemacht und will auch, dass eine Weihe möglich ist. Bestärkt der Papst jetzt mit dieser Entscheidung vom Montag diese deutsche Haltung? Oder sehen Sie da wenig Beziehungen zum Synodalen Weg in Deutschland?
Sr. Anna Mirijam: Das ist schwierig zu sagen. Ich glaube, Franziskus hat öfters schon deutlich gemacht, dass es ihm in keinster Weise darum geht, die Frauenweihe, sei es für Diakoninnen oder Priesterinnen, einzuführen. Ich habe schon die ersten Kommentare aus Deutschland gelesen, in der Teilnehmer des Synodalen Weges sagen, dass diese Entscheidung, eine Frau in diese leitende Funktion zu bringen, nichts an den Zielen des Synodalen Weges ändert. Dazu hat Franziskus aber schon mehrfach "Nein" gesagt.
Ich glaube eher, dass er deutlich machen will, dass Frauen sich in ihrer eigenen Art und mit ihrem eigenen Charisma einbringen sollen, und vielleicht auf eine ganz andere Weise Dinge bewegen können innerhalb der Kirche. Dafür braucht es nicht zwingend das Priestertum oder das Diakonat der Frau.
Das Interview führte Mathias Peter.