DOMRADIO.DE: Welche Bedeutung hat für Sie die Musik als Instrument der Verkündigung des Glaubens?
Bischof Erik Varden OCSO (Prälat von Trondheim): Eine ganz primäre. Für mich persönlich kann ich sagen, musikalische Werke sind auf meinem Glaubensweg entscheidend gewesen: die "Zweite Symphonie" von Mahler, die "Sieben letzten Worte" von Haydn, Beethovens "Missa Solemnis" – Werke wie diese sind Träger und Offenbarer tiefer Geheimnisse. Dann natürlich der Gregorianische Choral, dessen kerygmatischen Inhalt man immer klarer sieht, je mehr man ihn singt.
Pater Philipp Meyer OSB (Kantor der Abtei Maria Laach): Vom heiligen Augustinus ist das Wort überliefert: Qui cantat, bis orat (wer singt, betet doppelt). Ich habe dieses Wort immer als Ermutigung verstanden, die Kirchenmusik als Verkündigungsdienst zu sehen.
Die wichtigsten, die größten, die intimsten Texte der Schrift wurden von Komponisten aller Generationen und Stilrichtungen unzählige Male vertont und sind damit auch heute Menschen geläufig, die diese Texte vielleicht nie im Gottesdienst gehört haben. Die Musik hat der Heiligen Schrift zu einer zusätzlichen Reichweite verholfen.
Die Psalmen beispielsweise als die menschlichen Gebetslieder der Juden und Christen sprechen zu Gott aus allen nur zu denkenden Gefühls- und Gemengelagen heraus. Die Musik ist neben der Bildenden Kunst in der Lage, diesen individuellen Emotionen gleichsam einen allgemeingültigen Charakter zu geben und sie eben in eine Breite zu streuen, die insbesondere heute die liturgische Verkündigung in unseren Breiten nicht mehr hat.
DOMRADIO.DE: Beim Orden der Benediktiner spielt der Gregorianische Gesang eine besondere Rolle in den Gottesdiensten. Was ist an dieser Musik nach 1.000 Jahren immer noch so faszinierend, dass auch Menschen außerhalb des Klosters die Gottesdienste der Mönche besuchen?
Pater Philipp: Das ist schwer zu beantworten. Vielleicht hat der Gregorianische Choral etwas überzeitliches. Denn er ist kein Stil im Sinne der Musik des Barock oder der Romantik. Dem biblischen Text wurde ein Gesangsfluss beigesellt, der nicht zuerst gedacht, sondern gesungen wurde.
Dieser Fluss entspringt unmittelbar dem Herzen derer, die um das Lob Gottes in der Liturgie zu steigern, nicht sprechen, sondern eben singen. Worte, so wurde es empfunden – und das teile ich auch heute –, können das Geheimnis des Glaubens eben nicht so ausdrücken wie Musik.
Die Unmittelbarkeit der Gregorianik führt dabei unmittelbar an den Kern des Glaubens heran, nämlich an die Seele dessen, der dem Glauben durch den Gesang Ausdruck verleiht. Ich bin sicher, dass das der offenherzige Mensch spürt, ob er sich nun als gläubig bezeichnet oder nicht.
Bezüglich unserer klösterlich-benediktinischen Liturgie fasziniert mich immer wieder, wie wir Mitbrüder – mehr oder minder musikalisch – zusammenstehen und vereint im Glauben, im Suchen, im Ringen und Fragen einfach singen. Das ist kein Konzert, das ist authentisches Glaubensleben. Und das zieht an und fasziniert.
DOMRADIO.DE: Der Trappistenorden ist durch eine besonders strenge Askese und viel Schweigen gekennzeichnet. Wie muss man sich hier den Stellenwert der Musik vorstellen?
Bischof Erik: Das Schweigen will uns helfen, die Aufmerksamkeit nicht im leeren Geschwätz zu verlieren. In der Kirche wird aber gesungen. Die Suche nach der authentischen Form des Chorals gehörte zu den Prioritäten der ersten Mönche von Cîteaux, genau weil sie wussten, dass das, was wir singen, uns formt und einen Wert im Sinne der Verkündigung hat.
Die Einsicht ist zeitlos; ja sie ist auch für unsere Zeit relevant. Wir sollten in der Kirchenmusik einen hohen Standard setzen und uns nicht mit Mittelmäßigkeit begnügen.
DOMRADIO.DE: Sie sprachen einmal in einem Interview davon, dass wir heute in einem postsäkularen Zeitalter leben, in dem die Menschen wieder verstärkt auf der Suche nach Spiritualität und vielleicht auch Religiosität sind. Wie kann da die Musik ein Hilfsmittel und wie sollte sie gestaltet sein?
Bischof Erik: Musik als Ausdruck der Anbetung, als – im strengsten Sinne – Gotteslob lässt die wenigsten Menschen gleichgültig. Ich denke, die Musik kann ein Türöffner sein, ein Erwecker. In der Musik können wir einen Ruf des Jenseits hören, der in uns selbst ein vertrautes und doch erstaunliches Echo erweckt.
Kirchenmusiker müssen sich bewusst sein, dass ihr Beitrag im Gottesdienst oft genauso wichtig ist und manchmal wichtiger als beispielsweise eine Predigt. Deswegen muss dieser Beitrag mit Ehrfurcht gestaltet werden, betend.
DOMRADIO.DE: Pater Philipp, bevor Sie in den Orden eingetreten sind, haben sie eine Ausbildung zum Kirchenmusiker absolviert. Sie sind also vom Fach. Gibt es in Kirchenchören und anderen kirchenmusikalischen Ensembles auch glaubensferne Menschen, die sich trotzdem von der Musik, die sie spielen oder singen, ansprechen lassen?
Pater Philipp: Generell kann ich das nicht sagen und auch nicht verallgemeinern. Persönlich kann ich mir kaum vorstellen, wie man Kirchenmusik singen kann, ohne sich vom Text, den man singt, irgendwie anrühren zu lassen.
Mich macht es daher auch immer wieder ratlos, wenn wir diese Musik in Konzertsälen oder Philharmonien hören und nicht in den großartigen (und ja oft genug auch großen) Kirchen, die wir haben. Also offenbar scheint es zu gehen, Bachs Passionen oder Mozarts Messen von der Umgebung zu trennen, für die sie komponiert worden sind.
Für unsere Cappella Lacensis in Maria Laach, deren Mitglied ja auch Bischof Erik ist, kann ich jedenfalls sagen, dass das Miteinander von Sängern und Chorleitern – mein Mitbruder Jonas und ich sind beide Kirchenmusiker und Theologen – auch in dieser Hinsicht eine wichtige Rolle spielt, wie überhaupt die unmittelbare Nähe zu einem Kloster, mit dem die meisten unserer Mitglieder vorher keine Berührungspunkte hatten.
Bei uns wird die ganze Bandbreite von Kirchenmusik erarbeitet, von der Gregorianik bis zu temporärer Musik. Dass dabei die bibeltheologische und die spirituelle Dimension nicht nur als Randnotiz eine Rolle spielt, wird laufend von unseren Sängerinnen und Sängern gespiegelt.
Ganz persönlich weiß ich von vielen, dass das gesamte Setting von Chor, Kloster, Gesang und Gemeinschaft etwas mit unseren Mitgliedern macht. Es berührt mich ungemein, mit hineingenommen zu werden in Glaubens-, Lebens- und Suchbiografien unserer Mitglieder. Musik führt nicht nur Menschen zusammen, sondern eröffnet auch den Raum einer spirituellen Suche, triggert an und ermöglicht Auseinandersetzung. Und das gilt für alle, die Sänger wie die Chorleiter.
DOMRADIO.DE: Am Silvesterabend gibt es in der Abteikirche von Maria Laach wieder ein festliches Weihnachtskonzert zum Jahreswechsel. Zu Gehör gebracht werden aus dem Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach die Kantaten I, II und VI. Warum diese Kombination und was bedeutet die Musik des evangelischen Johann Sebastian Bach für zwei katholische Ordensmenschen?
Bischof Erik: Der Eröffnungschor des Oratoriums, "Jauchzet, frohlocket", ist pure Freude, ein Ausdruck so perfekt, dass es kaum zu glauben ist. Diese Musik trifft einem in die Seele. Sie ruft daraus ein Jubeln hervor, dessen Existenz wir vielleicht vergessen hatten. Die Weihnachtsgeschichte wird dann erzählt, vertieft durch beschauliche Arien.
Idealerweise hätten wir in Maria Laach alle Kantaten singen wollen, aber wir haben wohl nicht die Ausdauer unserer Vorfahren. Daran müssten wir arbeiten! Jedenfalls ist die Musik wunderbar – man könnte sagen: himmlisch. Aber äußerst bodenfest bleibt sie auch und auch unsentimental. Das gehört zum Bach’schen Geheimnis.
Pater Philipp: Die Kombination ergibt sich aus dem Zeitfaktor; mehr als 90 Minuten sollte ein Konzert bei uns am Silvesterabend nicht dauern. Und die Auswahl beim Weihnachtsoratorium ist nicht leicht, eine Kantate ist schöner als die andere.
Außerdem erkenne ich in Bachs Musik wenig konfessionelle Dimension – nicht umsonst wird Bach als fünfter Evangelist bezeichnet. Das hat ja nichts mit einer evangelischen Konfession, sondern mit seiner tiefen Verwurzelung im Evangelium zu tun. Und das ist uns Christen aller Konfessionen ja Gott sei Dank gemeinsam.
Die Fragen stellte Jan Hendrik Stens.