DOMRADIO.DE: Wie war die Gerichtsverhandlung für Sie?
Schwester Juliana Seelmann (Oberzeller Franziskanerin): Ich bin mit einer gewissen Anspannung reingegangen, weil ich schon Erfahrung vom vergangenen Jahr hatte. Ich bin jetzt sehr dankbar und erleichtert, dass es zu einem Freispruch gekommen ist. Das kann ich sagen.
DOMRADIO.DE: Also haben Sie die ganzen Verhandlungen mit einer gewissen Leichtigkeit entgegengenommen?
Sr. Juliana: Ja, es war ja nur ein Verhandlungstag angesetzt - eine recht kurze Verhandlung im Vergleich zum letzten Mal, wo es über mehrere Stunden ging. Von daher bin ich mit einer großen Anspannung hineingegangen, weil ich nicht wusste, wie es ausgeht.
Es gab bereits ein Gerichtsurteil des Oberlandesgerichts aus Bamberg zu Bruder Abraham und das war schon ein gewisses Hoffnungszeichen oder sogar ein deutliches Hoffnungszeichen, dass, wenn ich mich auch an die Regeln gehalten habe, es möglicherweise auch in meinem Fall zu einem Freispruch kommt. Trotzdem ist es eine gewisse Unsicherheit, die bleibt. Von daher bin ich bin sehr froh, dass es an dem Tag zu einer Entscheidung kam und dass es nun für die Zukunft auch Klarheit gibt - für uns und auch für andere Gemeinschaften, Klöster, Ordensleute, Kirchen, die Kirchenasyl gewähren.
DOMRADIO.DE: Sie sind nicht die Einzige, die in Bayern in letzter Zeit wegen Kirchenasyl angeklagt worden ist. Wie sehen Sie diese Praxis, Menschen deswegen vor Gericht zu stellen?
Sr. Juliana: Es wundert mich und es erstaunt mich vor allem, dass es nur in Bayern stattfindet. Ich bin im Moment in erster Linie froh und dankbar, dass es anders ausgegangen ist, und dass es ein oberlandesgerichtliches Urteil gibt, was uns ein Stück weit Sicherheit gibt: Wenn wir uns an die Vereinbarung halten, die zwischen dem Bundesamt und den Kirchen geschlossen wurden - da geht es ja um diese Tage, wenn das Dossier abgelehnt wurde -, dass wir da eine gewisse Sicherheit haben, soweit man im Kirchenasyl von Sicherheit sprechen kann, denn es bietet ja keine Rechtssicherheit. Von daher hoffe ich und wünsche ich mir wirklich sehr, dass es nicht zu weiteren Anklagen oder auch Verfolgungen in dieser Richtung kommt. Und diejenigen, die noch eine Anklage laufen haben, müssen da natürlich noch durch, und ich hoffe einfach, dass es da auch genauso wie bei mir mit einem Freispruch endet, damit die Sache dann beendet ist.
DOMRADIO.DE: Wie empfinden Sie das, wenn die Staatsanwaltschaft sagt, Ihre Hilfe sei "Beihilfe zu unerlaubtem Aufenthalt"?
Sr. Juliana: Wenn man es rein rechtlich betrachtet, aus ihrer Sicht, ist es erst mal korrekt. Wir sagen aber, dass es uns um eine Einzelfallprüfung geht. Darauf berufen wir uns auch. Es geht um Einzelfälle und um unzumutbare Härten, wo wir einfach noch mal eine Prüfung möchten. Ich wünsche mir, dass ich nicht staatsanwaltlich oder gerichtlich verfolgt werde, weil wir uns wirklich auf Einzelfälle konzentrieren und Menschen sehen, die in europäischen Ländern wirklich schlimme Dinge erlebt haben. Da halte ich es einfach für dringend notwendig, immer wieder auch darauf hinzuweisen und Menschen zu bewahren - in unserem Fall vor der Zwangsprostitution in europäischen Ländern.
DOMRADIO.DE: Können Sie uns beschreiben, wie das mit dem Kirchenasyl funktioniert? Kommen diese Menschen einfach auf Sie zu oder wie muss man sich das vorstellen?
Sr. Juliana: Meistens sind es nicht direkt die Menschen, die auf uns zukommen. Denn jemand, der aus Nigeria, Afghanistan oder Syrien kommt, weiß überhaupt nicht, dass es so etwas wie ein Kirchenasyl gibt oder was das überhaupt ist. Bei den Personen, die wir in den letzten Jahren aufgenommen haben, war es so, dass Organisationen auf uns zukamen, wie zum Beispiel "Solwodi". Das ist eine Frauenrechtsorganisation, die sich um Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution kümmert.
Die lernen die Frauen zum Beispiel in einem "Ankerzentrum" oder in der Unterkunft kennen und stellen fest, dass sie bedroht sind. Die sind mit den Frauen im Kontakt, da gibt es meistens vorher auch schon viele Gespräche. Das ist nichts, was man übers Knie bricht, sondern es ist ein längerer Prozess. Dann kommen die auf uns zu und wir treten in Kontakt. Dann gibt es genaue Vereinbarungen, wir müssen uns mit dem katholischen Büro absprechen. Ich prüfe mich intern natürlich auch erst mal: Ist das ein Härtefall, wo ich sage: Ja, da mache ich das auch? So geht es weiter seinen Gang. Aber das sind erst mal mehrere Schritte, die dem Kirchenasyl vorgeschaltet sind.
DOMRADIO.DE: Wenn Ermittlungen und Gerichtsverhandlungen folgen, ist das aus Ihrer Sicht ein Angriff des Staates auf die Kirchen?
Sr. Juliana: Das sehe ich nicht als Angriff des Staates auf die Kirchen. Ich werde ja als Person angeklagt, nicht die Kirche. Trotzdem gibt es die Vereinbarung von 2015, in der sich die Kirche und das Bundesamt (BaMF) darauf geeinigt haben, diese alte Tradition des Kirchenasyls zu respektieren, wenn wir uns an die Vorgaben oder die Absprachen halten.
Das hoffe ich und wünsche ich mir, dass das weiterhin als christlich-humanitäre Tradition respektiert und geachtet wird, wo wir Menschen schützen und bewahren wollen vor wirklich prekären Lebenssituationen, vor menschenunwürdigen Situationen.
DOMRADIO.DE: Würden Sie auch in Zukunft Menschen Kirchenasyl gewähren?
Sr. Juliana: Diese Frage kann ich genauso beantworten wie vor der Gerichtsverhandlung. Wir haben immer jeden Einzelfall geprüft. Wenn jetzt Anfragen kommen, werde ich das genauso machen wie vorher. Ich werde jeden Einzelfall prüfen und die Vorgaben einhalten, danach entscheiden und wenn es notwendig ist, auch ein Kirchenasyl gewähren unter all den Voraussetzungen, die gegeben sind und die wir einhalten müssen. Aber am meisten würde ich mir natürlich wünschen, dass es irgendwann gar nicht mehr notwendig wäre, ein Kirchenasyl zu gewähren, weil die Lage sich politisch verändert, dass das nicht mehr nötig ist. Das wäre mein größter Wunsch für die Zukunft.
Das Interview führte Florian Helbig.