Orientalist Kermani legt katholischen Bischöfen Abtritt nahe

"Die jetzt handelnden Personen haben keine Chance"

Der Kölner Orientalist Navid Kermani bezweifelt, dass sich die katholische Kirche auf absehbare Zeit von den Folgen des Missbrauchsskandals erholen kann. Die Frage sei, ob nicht alle Bischöfe abtreten müssten, so der Autor.

Weiße Stolen hängen über Kirchenbänken / © Julia Steinbrecht (KNA)
Weiße Stolen hängen über Kirchenbänken / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Nur dann bekomme die Kirche wieder Boden unter die Füße. "Die jetzt handelnden Personen haben womöglich gar keine Chance, selbst wo sie individuell keine Schuld treffen sollte und sie ehrlich um Aufklärung bemüht sind", sagte Kermani der im hessischen Oberursel erscheinenden Zeitschrift "Publik Forum" (Ausgabe vom 7. Oktober).

Navid Kermani / © Oliver Berg (dpa)
Navid Kermani / © Oliver Berg ( dpa )

Wo Religion verschwinde, verschwinde früher oder später auch die Kultur, sagte Kermani, denn die sei geprägt von religiösen Motiven: "Wo der Zugang zur Religion verloren geht, geht auch der Zugang zu Hölderlin, Goethe, Schubert, Beethoven, Gryphius und zur Bibel verloren."

Umgekehrt sei die Gefahr, für eine kolportierte Wahrheit zu kämpfen, in die Religion eingeschrieben. "Der entscheidende Punkt besteht darin, dass wir uns dessen bewusst sind", sagte Kermani.

Mehr Ressourcen als die kirchlichen Würdenträger

In dieser Hinsicht ist eine säkular verfasste Gesellschaft nach den Worten des iranisch-stämmigen Autors eine "Riesenchance". Sie biete Freiheit und wache darüber, dass sich Sprachgewalt nicht in soziales Handeln übertrage. Die Freiheit zum Unglauben komme erst, wenn man wisse, was man ablehnen kann.

Deutsche Bischöfe / © Julia Steinbrecht (KNA)
Deutsche Bischöfe / © Julia Steinbrecht ( KNA )

"Eine Aufgabe der Erziehung wäre, einer nachfolgenden Generation die Möglichkeit zu vermitteln, dass man glauben kann", sagte Kermani. "Ob sie dann den Glauben annimmt oder nicht, hängt von ihrer Lebenserfahrung ab."

Das Christentum habe noch mehr Ressourcen als die kirchlichen Würdenträger, "die man blöd oder ungeeignet findet", äußerte Kermani.

Es gebe ja noch viele vom Glauben beseelte Menschen oder die Caritas. Aber in der Geschichte hätten sich immer wieder Religionen aufgelöst. Auch für das Christentum gelte: "Wenn es nicht genug Menschen gibt, die es weitergeben, dann stirbt es eben."

Chronik des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche

Januar 2010: Der Leiter des Canisius-Kollegs der Jesuiten in Berlin, Pater Klaus Mertes, macht durch einen Brief an ehemalige Schüler den Missbrauchsskandal an seiner Schule bekannt. Jesuiten hätten in den 1970er und 80er Jahren Schüler sexuell missbraucht. Er löst damit eine Welle von Enthüllungen zu Missbrauchsfällen in der Kirche, aber auch in Schulen und anderen Institutionen aus.

Canisius-Kolleg in Berlin / © Christoph Scholz (KNA)
Canisius-Kolleg in Berlin / © Christoph Scholz ( KNA )
Quelle:
epd