Orthodoxie-Experte analysiert Konflikt um Höhlenkloster

"Ich halte das Vorgehen für diplomatisch ungeschickt"

Wegen ihrer Russland-Sympathie fordert die ukrainische Regierung die Mönche der ukrainisch-orthodoxen Kirche auf, das Höhlenkloster zu verlassen. Der Orthodoxie-Experte Johannes Oeldemann erklärt die Hintergründe und seine Bedenken.

Autor/in:
Elena Hong
Höhlenkloster in Kiew / © Lipatova Maryna (shutterstock)
Höhlenkloster in Kiew / © Lipatova Maryna ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Welche Bedeutung trägt das Höhlenkloster überhaupt für die Ukraine?

Dr. Johannes Oeldemann / © Möhler-Institut
Dr. Johannes Oeldemann / © Möhler-Institut

Dr. Johannes Oeldemann (Orthodoxie-Experte beim Johann-Adam Möhler Institut für Ökumenik): Das Höhlenkloster hat für die Ukraine eine ganz besondere Bedeutung, weil es der Ursprungsort des Christentums in der ganzen Region ist. Nachdem die ersten Christen dort im zehnten Jahrhundert getauft worden sind, hat sich relativ bald "mönchisches" Leben in den Höhlen am Ufer des Dnepr entwickelt. Bis heute gilt das Kloster als spirituelles Zentrum der Ukrainischen Orthodoxen Kirche und zählt auch zum UNESCO Weltkulturerbe.

DOMRADIO.DE: Aktuell gibt es den Streit mit der ukrainischen Regierung und die Mönche weigern sich, das Kloster zu verlassen. Womit hat die Regierung Probleme?

Oeldemann: Aus meiner Sicht möchte der ukrainische Staat den Einfluss auf das spirituelle Zentrum von Vertretern dieser ukrainisch-orthodoxen Kirche verhindern, die bis vor einigen Monaten mit Moskau verbunden waren. Ich vermute, dass der Staat stattdessen die 2018 neu gegründete Orthodoxe Kirche der Ukraine dort hineinbringen möchte, die im Übrigen schon einige Kirchen in der oberen Lavra des Klosters nutzt, während in der unteren Lavra die Mönche leben, die bisher noch zu der ukrainischen-orthodoxen Kirche gehören.

Dr. Johannes Oeldemann (Orthodoxie-Experte beim Johann-Adam Möhler Institut für Ökumenik)

"Die Mehrheit der Mönche sind einfach fromme Menschen, die ihre Gottesdienste feiern wollen, aber nicht Politik betreiben."

DOMRADIO.DE: Die Abneigung der ukrainischen Hauptstadt gegenüber Russland ist groß, aber geht die Regierung da einen Schritt zu weit, Stichwort Religionsfreiheit?

Oeldemann: Ich finde ja. Daran ist vor allen Dingen problematisch, dass sie indirekt genau das tun, was Russland ihnen immer vorgeworfen hat: Die Verfolgung der orthodoxen Gläubigen seitens des ukrainischen Staates. Dieses russische Narrativ wird nun vom ukrainischen Staat indirekt bedient. Deswegen halte ich dieses Vorgehen auch für diplomatisch ungeschickt. Die erhobenen Vorwürfe, dass russische Kollaborateure drunter seien, halte ich für herbeigezogen.

Sicherlich sympathisieren einige Mönche mit Russland, aber das ist der kleinere Teil. Ich selbst hatte vor drei Jahren einen der Mönche des Klosters für ein Jahr als Stipendiat hier und war mehrfach im Kloster. Die große Mehrheit der Mönche sind einfach fromme Menschen, die dort ihre Gottesdienste feiern wollen, aber nicht Politik betreiben.

DOMRADIO.DE: Jetzt hat die andere christliche Konfession die orthodoxe Kirche der Ukraine die Mönche aufgefordert, die Seiten zu wechseln. Sollten sie diesen Schritt wirklich gehen?

Oeldemann: Ich glaube, dass derzeit für die Mönchsgemeinschaft im Kloster nicht die Bereitschaft für solche Kompromisse da ist. Der neu eingesetzte Abt Abraham ist einer der wenigen, der von der über Jahrzehnte dort lebenden Kirche zu der neuen orthodoxen Kirche der Ukraine gewechselt ist.

Die Mönche werden auch zu diesem Schritt aufgefordert, weil diese neue Kirche gar nicht so viele Mönche hat, um dieses Klosterleben dort wirklich aufrechterhalten zu können. Die gesamte orthodoxe Kirche der Ukraine hat nach den letzten statistischen Angaben gerade mal 233 Mönche in der gesamten Ukraine. Allein in dem Höhlenkloster leben rund 200 Mönche. Die ukrainisch orthodoxe Kirche zählt insgesamt über 4.500 Mönche.

Dr. Johannes Oeldemann (Orthodoxie-Experte beim Johann-Adam Möhler Institut für Ökumenik)

"Der ukrainische Staat täte gut daran, handgreifliche Auseinandersetzungen zu vermieden."

DOMRADIO.DE: Wie sieht Ihre Einschätzung aus, wird der Streit um das Kiewer Höhlenkloster noch eskalieren?

Oeldemann: Ich kann mir nicht vorstellen, dass es in dem Sinne eskalieren wird, dass es da zu handgreiflichen Auseinandersetzungen kommt. Der ukrainische Staat täte gut daran, das zu vermieden. Das wären Bilder, die um die Welt gingen und der ukrainischen Regierung nicht gerade schmeicheln würden.

Ich kann mir vorstellen, dass der Konflikt erst mal auf der juristischen Ebene ausgefochten wird. Die in der Lavra lebende Gemeinschaft, hat diesen Beschluss der Regierung angefochten und ein Gericht hat eine Verhandlung für Ende April angesetzt. Das ist noch nicht das höchste Gericht. Vermutlich wird es noch mal zu Revisionen kommen. Darum glaube ich, dass sich dieser Streit noch einige Zeit hinziehen wird.

Das Interview führte Elena Hong.

Quelle:
DR