Ein Meer aus unzähligen gelb-weißen Schirmen erstreckt sich zwischen kristallklarem Wasser und grünen Hügeln. Hunderttausende Menschen warten, viele von ihnen seit der Nacht, auf dem steinigen Platz acht Kilometer vor Osttimors Hauptstadt Dili.
Die Sonne brennt erbarmungslos auf die schattenlose Fläche, doch gleicht die Stimmung einem Rockfestival. Rund 600.000 Menschen nehmen an der Abschlussmesse mit Papst Franziskus teil - in einer Stadt mit knapp 280.000 Einwohnern.
Osttimor im Ausnahmezustand
Es ist ein Kontrastprogramm zu Franziskus' ersten Reisezielen Indonesien und Papua-Neuguinea, wo er auf verhaltene Resonanz stieß. Bereits bei seiner Ankunft in Osttimors Hauptstadt Dili am Montag schien fast das gesamte 1,4-Millionen-Einwohner-Land auf den Beinen. Über Kilometer säumten Zehntausende Menschen die Straßen, harrten stundenlang auf Bäumen und den Dächern der niedrigen Häuser aus, um einmal im Leben den Papst zu sehen.
Die Regierung hatte Busse auch in entlegene Regionen des Landes geschickt, damit möglichst viele Timoresen das Kirchenoberhaupt erleben können. Normalerweise sei es hier staubiger, erzählt eine Frau aus Dili. Viele hätten mit angepackt, um die Straßen zu reinigen. Gemeinden, Familien, Geschäftsinhaber hängen selbstgemalte Gruß-Plakate an Fassaden und Mauern. Auf einem Schild bietet ein Kind dem Papst ein Küsschen gegen seinen Segen.
Katholischstes Land der Welt
Zum ersten Mal seit der Unabhängigkeit Osttimors 2002 empfängt das Land einen Papst - mit 98 Prozent Anteil an der Bevölkerung ist es der katholischste Flächenstaat der Welt. Die etwa 400 Jahre andauernde portugiesische Kolonialzeit hat daran nur bedingt Anteil.
Die Zahl der Katholiken wuchs rasant mit der brutalen Besatzung durch Indonesien. Der große Nachbar überfiel nur wenige Tage nach Ausrufung der Unabhängigkeit von Portugal 1975 das kleine Land. Es folgten 24 Jahre des systematischen Terrors - Morde, Vergewaltigungen und die Verschleppung von über hunderttausend Menschen - Zehntausende mehr starben an Hunger und Krankheiten.
Die verhassten Besatzer waren Muslime. Die katholische Kirche hingegen setzte sich für die Unabhängigkeit des Landes ein und bot Schutz. Die Timoresen würdigten ihr Engagement mit hohen Eintrittszahlen. Ähnlich wie einst in Polen oder Irland verschmolzen Nationalgefühl und Religion miteinander.
Schatten aus Macht und Missbrauch
Doch die Macht der Kirche im Land hat auch eine dunkle Seite. Einige Geistliche nutzten ihre Position zum Missbrauch von Kindern. Der prominenteste Fall ist der von Carlos Filipe Ximenes Belo. Der langjährige Bischof von Dili (1988-2002) war einer der größten Helden des Freiheitskampfes in Osttimor. 1996 erhielt er den Friedensnobelpreis, gemeinsam mit dem Rebellenführer und aktuellen Staatspräsidenten Jose Ramos-Horta.
Doch wurden vor etwa zwei Jahren Missbrauchsvorwürfe gegen ihn bekannt. Immer wieder soll er Jungen in seine bischöfliche Residenz eingeladen und sexuell missbraucht haben. Für ihr Schweigen bezahlte er die Jungen, die, wie er selbst, aus ärmlichen Verhältnissen kamen. Trotzdem sollen die Vorgänge in Osttimor schon lange bekannt gewesen sein. Der Vatikan verhängte eine Reihe von Straf- und Präventionsmaßnahmen gegen Belo. In seine Heimat darf er nicht mehr zurückkehren - er lebt in einem Kloster in Portugal.
Erstmals verurteilte ein Gericht in Osttimor Ende 2021 einen Ex-Geistlichen wegen Kindesmissbrauchs zu einer Haftstrafe von zwölf Jahren. Der Vatikan hatte den US-Amerikaner und ehemaligen Steyler Missionar zuvor bereits aus dem Priesterstand entlassen. Der Prozess war geprägt von Protesten und Drohungen seiner Anhänger gegen die Opfer, deren Familien, Unterstützer und Staatsanwälte.
Papst gegen überhöhtes Priesterbild
Der Papst ging auf den Missbrauchsskandal nicht direkt ein. Doch predigte er in der Kathedrale von Dili vor Klerikern vehement gegen eine Überhöhung ihrer Person und ihres Amts - die den Missbrauch von Macht erleichtert. Ein Priester sei "Segenswerkzeug", der den Menschen diene, betonte er. Niemals dürfe ein Geistlicher seine Rolle und sein soziales Prestige ausnutzen und sich gegenüber den anderen Gläubigen überlegen fühlen.
Franziskus warnte die Geistlichen vor Arroganz, Geldgier, Macht und Korruption: "Du kommst aus dem Volk! Du wurdest von Müttern des Volkes geboren! Du bist im Volk aufgewachsen! Vergiss nicht die Kultur des Volkes, die du erhalten hast."
Dieses Volk feiert seinen Papst. Für ihn klappen sie ihre gelb-weißen Regenschirme zusammen. Umgedreht eignen die sich hervorragend als Smartphone-Halterung für Videoaufnahmen des weit entfernt sitzenden Pontifex, dessen Worte sie beklatschen und bejubeln.