DOMRADIO.DE: Zu welcher Fraktion gehören Sie? Panik oder noch Gelassenheit?
Dr. Werner Kleine (Katholischer Theologe, Pastoralreferent und Initiator der Katholischen Citykirche in Wuppertal): Ich bin von Natur aus eher ein Kopfmensch. Deswegen beobachte ich die Sache aufmerksam, aber mit einer großen Gelassenheit. Panik ist in meinen Augen immer ein ganz schlechter Ratgeber. Wenn wir die schönste aller göttlichen Gaben, unseren Verstand, benutzen, dann werden wir auch in dieser Situation gelassen durch den Alltag gehen können.
DOMRADIO.DE: Sie würden also sagen, dass man seinen Ängsten da gar nicht so nachgeben sollte?
Kleine: Angst ist nichts Unwichtiges. Die Angst spielt durchaus eine wichtige Rolle als Alarmgeber. Wenn wir Angst verspüren, schärft sich unsere Aufmerksamkeit. Deswegen will ich die, die jetzt Angst empfinden, gar nicht tadeln oder das infrage stellen. Schwierig ist, wenn die Angst die Herrschaft über den Menschen übernimmt. Wenn es dann zu solchen panikartigen Reaktionen kommt, wie wir die jetzt auch wieder teilweise beobachten können, dann verlieren wir den Verstand und sind nicht in der Lage, vernünftig zu handeln.
DOMRADIO.DE: Was sagen Sie den Menschen, die jetzt überlegen, sich selbst in Quarantäne zu begeben oder sich kiloweise mit Nudeln eindecken?
Kleine: Die Frage ist, warum man sich jetzt selbst in Quarantäne begeben will? Die Quarantäne dient dazu, dass jemand, der infiziert ist, den Virus nicht weiter verbreitet. Wenn also jemand entsprechende Symptome verspürt, dann ist noch lange nicht klar, ob es tatsächlich der Coronavirus ist oder nicht einfach ein ganz normaler grippaler Infekt. Das kann und soll man aber medizinisch abklären lassen.
Wenn dann jemand tatsächlich infektiös ist, dann sollte sich diese Person natürlich in Quarantäne begeben. Aber eine vorbeugende Quarantäne bringt in dem Sinne genauso wenig wie die Tendenz, dass alle Menschen sich testen lassen. Sie können heute negativ auf den Coronavirus getestet werden und bekommen den dann übermorgen. Da wiegen sie sich aber in falscher Sicherheit. Das ist genauso eine Haltung ohne Verstand wie die panikartige Versorgung mit Nudeln und Klopapier. Klopapier finde ich am absurdesten, weil die Regale leer sind und ich nicht weiß, womit die Leute rechnen.
DOMRADIO.DE: Wie reagieren denn die Mitglieder Ihrer Gemeinde? Was machen Sie da gerade für Erfahrungen?
Kleine: Ich bin ja von unserer Citykirche aus auch in der Öffentlichkeit der Stadt unterwegs. Ich beobachte hier in Wuppertal, dass die Menschen schon mit einer sehr großen Gelassenheit damit umgehen. Man ist vorsichtig und nimmt die Warnhinweise ernst, die gerade auch den liturgischen Bereich betreffen, wie etwa das Weihwasser oder das Verbot der Mundkommunion. Das trifft hier in Deutschland viele praktizierende Katholiken ohnehin nicht so stark, weil die Handkommunion doch die verbreitete Weise ist, die Eucharistie zu empfangen. Aber ich beobachte da eine sehr große Gelassenheit, eine wachsame Gelassenheit, und genauso finde ich es gut.
DOMRADIO.DE: Was für eine Rolle hat die Kirche in so einer Zeit, bei einer Epidemie? Wie muss sie damit umgehen?
Kleine: Als Kirche stehen wir mit einem Bein im Himmel und mit einem Bein auf der Erde. Das könnte die Kirche zu einem ganz wichtigen Faktor in diesen Zeiten machen. Beten hilft mit Sicherheit, weil Beten immer auch den eigenen Verstand schärft. Denn im Gebet hören wir immer auch die Stimme Gottes in unserem Verstand. Das ist ja eine göttliche Gabe. Das ist quasi das Bein, das wir im Himmel haben. Das Bein auf der Erde ist, dass wir, um es mit Jesu Worten zu sagen, am Aufbau des Reiches Gottes mitwirken sollen. Da gehört aber auch die Heilung der Kranken immer dazu.
Beten alleine reicht nicht, sondern die Tat ist auch wichtig. Wir finden im Buch Jesus Sirach einen sehr schönen Satz, der das zum Ausdruck bringt. Da heißt es im 38. Kapitel: "Gib dem Arzt seinen Platz, denn auch ihn hat der Herr erschaffen. Er bleibe dir nicht fern, denn er ist notwendig." Dieses Wort aus dem Buch Jesus Sirach in der Heiligen Schrift gemahnt uns beides zu tun - beten und wachsam die Dinge nutzen, die Gott uns selbst gegeben hat. In dem Fall auch die Erkenntnisse der Medizin.
Das Interview führte Verena Tröster.