Papst Franziskus hat in Triest zu einem menschlichen Umgang mit Migranten aufgerufen. Kirche und Staat seien herausgefordert, "Offenheit und Stabilität, Gastfreundschaft und Identität miteinander zu verbinden", sagte er am Sonntag in Triest, wo viele Migranten von der Balkanroute ankommen.
Franziskus nannte die Hafenstadt an der Grenze zu Slowenien eine "Schnittstelle zwischen Italien, Mitteleuropa und dem Balkan". In der norditalienischen Stadt nahm er am Abschluss der 50. "Katholischen Sozialwochen" teil, die von der italienischen Bischofskonferenz organisiert werden.
"Mit der Menschenwürde spielt man nicht"
Seine Hörer sollten sich als Christen am Evangelium und als italienische Bürger an der Verfassung als "verlässlichen Kompass für den Weg zur Demokratie" orientieren, so der Papst. Er lud dazu ein, "offen und fest in den menschlichen und christlichen Werten" sowie einladend zu sein.
Kompromisse bei der Menschenwürde dürfe es nicht geben. "Mit der Menschenwürde spielt man nicht", mahnte Franziskus.
Weiter rief der Papst zu Gebet und Engagement für den Frieden in der Ukraine, Palästina und Israel sowie im Sudan und in Myanmar auf.
Sorge angesichts steigender Zahl von Nichtwählern
Zudem zeigte sich das Oberhaupt der katholischen Kirche besorgt über die Demokratie. Es sei offensichtlich, "dass es um die Demokratie in der heutigen Welt nicht gut bestellt ist", sagte Franziskus.
Er äußerte sich vor allem über eine steigende Zahl von Nichtwählern in Sorge. Man müsse "die Voraussetzungen dafür schaffen, dass jeder sich äußern und beteiligen kann", so der Papst im Kongresszentrum der Hafenstadt vor den etwa 1200 Teilnehmern der Tagung.
Partizipation könne nicht improvisiert werden, man lerne sie von klein auf. "Sie muss trainiert werden, und das schließt auch einen kritischen Sinn gegenüber ideologischen und populistischen Verlockungen mit ein." Franziskus kritisierte außerdem, bestimmte Formen des Wohlfahrtsstaates erkennten die Würde der Menschen nicht an und seien "soziale Heuchelei". Gleichgültigkeit nannte er "ein Krebsgeschwür der Demokratie".
Einsatz für ein menschlicheres Europa
Er betonte den Einsatz für ein menschlicheres Europa: "Von dieser Stadt Triest aus, mit Blick auf Europa, einem Knotenpunkt der Völker und Kulturen, einem Grenzland, befeuern wir den Traum einer neuen Zivilisation, die auf Frieden und Brüderlichkeit basiert."
Christen sollten schockiert sein "über das Böse, das sich ausbreitet, das Leben, das gedemütigt wird, die Probleme der Arbeit, das Leid der Migranten", mahnte Franziskus vor rund 8.500 Teilnehmern der Messe.
"Warum bleiben wir gleichgültig gegenüber den Ungerechtigkeiten der Welt? Warum nehmen wir uns nicht die Situation der Gefangenen zu Herzen, die auch aus dieser Stadt Triest wie ein Schmerzensschrei ertönt?", so Franziskus.
Vierter Papstbesuch in Italien
Triest ist bereits die vierte italienische Stadt, die Papst Franziskus in diesem Jahr besucht hat. Im April war der 87-Jährige zur Biennale nach Venedig gereist, im Mai nach Verona und im Juni ins süditalienische Borgo Egnazia, wo er im Rahmen des diesjährigen G7-Gipfels unter italienischer Präsidentschaft an einer Diskussion über Künstliche Intelligenz teilgenommen hat.
Anfang September plant Franziskus eine längere Auslandsreise nach Indonesien, Papua-Neuguinea, Osttimor und Singapur. Ende September will er Belgien und Luxemburg besuchen. Im Oktober steht der Abschluss der Weltsynode in Rom auf dem Programm.
Die lokale Kirche ermutigte er, weiterhin "das Evangelium der Hoffnung zu verbreiten, insbesondere gegenüber denen, die über die Balkanroute kommen", und gegenüber allen, die Ermutigung und Trost brauchten. "Indem wir wiederentdecken, dass wir vom Vater geliebt werden, können wir alle als Brüder leben", sagte der Papst.
Gegen Trägheit, Konsumwahn und Egoismus
Angesichts der vielen sozialen und politischen Probleme müsse der Glaube den Finger in die Wunden der Gesellschaft legen, so Franziskus weiter. Dieser Glaube könne helfen, Mittelmäßigkeit und Trägheit, Konsumwahn und Egoismus zu überwinden.
Entschieden wandte sich der Papst gegen eine Religiosität, die sich nicht um die Belange der Menschen kümmere. "Gott versteckt sich in den dunklen Ecken des Lebens und unserer Städte, seine Gegenwart offenbart sich gerade in den Gesichtern, die vom Leid ausgehöhlt sind und in denen die Erniedrigung zu triumphieren scheint", sagte Franziskus.
Den Gottesdienst an der Hafenpromenade feierten 98 Bischöfe und 260 Priester mit. Ebenso waren serbisch-orthodoxe, griechisch-orthodoxe und protestantische Geistliche anwesend.
16 Konfessionen in Triest
Anlass des Papstbesuchs war die 50. Sozialwoche der Katholiken in Italien. Am Mittwoch hatte Staatspräsident Sergio Mattarella die Veranstaltung mit rund 1.200 Teilnehmern eröffnet. Franziskus hielt am Sonntagmorgen den Schlussvortrag. Anschließend traf er in privatem Rahmen Vertreter der Wissenschaft und der 16 Konfessionen und Religionen in Triest sowie Migranten, Menschen mit Behinderungen und sozial Benachteiligte.
Franziskus ist nach Johannes Paul II. (1978-2005) der zweite Papst, der die seit 1907 veranstalteten Tagungen besucht. Im Frühjahr ließ die Stadtverwaltung die berüchtigten "Silos" räumen, in denen Migranten unter teils menschenunwürdigen Umständen zwischen Müll und Ratten hausten.