domradio.de: Die türkische Regierung spricht von einem Bürgerkrieg mit Opfern auf beiden Seiten und will Völkermord nicht hören. Aber genau dieses Wort hat der Papst wieder verwendet, auch wenn es im Redemanuskript nicht vorgesehen war. War es notwendig oder vermeidbar, von Genozid zu sprechen?
Matthias Kopp (Pressesprecher der Deutschen Bischofskonferenz): Es war dringend notwendig, dass Papst Franziskus diesen Ausdruck verwendet. Wenn die Türkei diese Realität nicht hören möchte, dann ist es gut, wenn der Papst sie in dieser Deutlichkeit sagt. Franziskus hat keine Chance ausgelassen, auf diese Problematik hinzuweisen. Aber er spricht auch nicht nur diese Problematik des Genozids an, sondern fordert auch Armenier und Türken auf, gemeinsam etwas für den Frieden in der Region zu tun. Also: die Diskussion war notwendig, sie ist richtig gesetzt vom Papst und, wenn sich sonst keiner traut, dann macht er es.
domradio.de: Drei Tage lang hat Franziskus in Armenien für Frieden mit den verfeindeten Nachbarn geworben. Ein Bild war, dass er Friedenstauben hat aufsteigen lassen. Glauben Sie, dass sich die Türkei oder Aserbaidschan dafür interessieren?
Kopp: Ich glaube schon. In den Medien ist diese Geste gestern zum Abschied der Reise wahrgenommen worden. Es ist also Interesse vorhanden. Viele nörgeln in Deutschland wieder herum, das sei wieder ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber ich denke: Es braucht solche Symbole. Sie sind sogar dringend notwendig. Der Papst hat einen guten Zeitpunkt gewählt. Es ist eine Woche vor dem Beginn des großen OECD-Treffens in Georgien, wo es ja um die Frage des friedlichen Zusammenlebens im Süd-Kaukasus gehen soll. Die Armenienreise ist sicherlich auch ein Ausdruck, dass der Papst Politik mitgestalten will. Und ich bin mir sehr sicher, dass das OECD-Treffen nicht ohne den Einfluss des Papstes und dessen, was er gesagt hat, stattfinden wird.
domradio.de: Die Beziehungen zwischen der katholischen Kirche und der armenisch-apostolischen Kirche sind sehr gut. Der Papst ist jetzt so weit gegangen, dass er gesagt hat, die Kirchen sind eins. War das überraschend für Sie?
Kopp: Das war ein sehr deutliches Wort. Der Papst hat erläutert, wie man sich in den vergangenen 20 Jahren auch theologisch angenähert hat und viele christologisch dogmatische Streitigkeiten des 5. Jahrhunderts für überwunden erklärt hat. Und gestern saß Papst Franziskus dabei, als Karekin II. eine Liturgie feierte. Das war so eindrucksvoll, dass klar war: viel trennt die beiden großen Kirchen nicht mehr, auch wenn natürlich noch bestimmte theologische Fragen überwunden werden müssen. Aber ich muss sagen: Neben der griechisch-orthodoxen ist die armenisch-apostolische Kirche die Kirche, mit der wir derzeit im interkonfessionellen Dialog am engsten zusammenarbeiten und auch denken können.
domradio.de: Weiß man schon, welche gemeinsame ökumenische Erklärung das armenisch-apostolische Kirchenoberhaupt Katholikos Karekin II. und Papst Franziskus unterzeichnet haben?
Kopp: Die beiden haben noch mal das festgehalten, was in den letzten Jahren geschehen ist und haben den Weg des ökumenischen Miteinanders bestätigt. Zudem schauen sie in die Zukunft und haben deutlich gemacht, dass sie sich gemeinsam und mit ihren Mitteln für Frieden einsetzen wollen. Die Erklärung ist ein starker Impuls dafür, dass der Weg der Ökumene zwischen der römisch-katholischen Kirche und der armenische-apostolischen Kirche unumkehrbar ist.
domradio.de: Wie und wann ist die Erklärung entstanden?
Kopp: Im Vorfeld gab es gab einen Entwurf dieser Erklärung. Aber der endgültige Text ist erst am Donnerstagabend entstanden. Der Papst hat sich während der Reise und von den Gesprächen mit Karekin II. inspirieren lassen.
Das Interview führte Tobias Fricke.