Pastor in Niedersachsen bringt Kirche in die Kneipe

"Gott ist auch dein Bier"

Im niedersächsischen Sulingen feiert Pastor Michael Wendel Gottesdienste in der Kneipe. Die Kirche, so sein Credo, muss weg von der "Komm'-Struktur" und hin zu den Menschen. Dieses Konzept scheint aufzugehen, denn der Zulauf ist groß.

Symbolbild Menschen stoßen mit Bier an / © DavideAngelini (shutterstock)
Symbolbild Menschen stoßen mit Bier an / © DavideAngelini ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Sie sagen, dass sich Kirche verändern muss. Deshalb predigen Sie seit November letzten Jahres immer mal wieder in der Kneipe. Weil da alle hingehen und eben nicht mehr in die Kirche?

Michael Wendel (Pastor der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Sulingen in Niedersachsen): Man könnte es so auf den Punkt bringen. Kirche erreicht ja leider nicht mehr ganz so viele Menschen, höchstens noch drei Prozent. Und die Leute, die ich in der Kneipe erreiche, die kommen in der Regel Sonntag morgens nicht in meinen Gottesdienst. Das stimmt.

DOMRADIO.DE: Warum heißt das Format "GutesDienst"?

Wendel: Das ist im Grunde ein doppeltes Wortspiel. Die Chefin der Kneipe heißt Ute. Im "GutesDienst" steckt im Grunde beides drin: einmal der Ort "bei Ute" quasi und gleichzeitig auch im Grunde das Innerliche, das ist ein "Gottesdienst". 

Aber das Wort "gut" steckt auch noch drin, weil ich denke, auch ein Gottesdienst sollte uns gut tun und daher finde ich den Namen eigentlich ganz witzig. Das Motto lautet "Gott ist auch dein Bier". Das hat sich herumgesprochen.

DOMRADIO.DE: Was hat Sie darauf gebracht, in der Kneipe Gottesdienste zu feiern?

Pastor Michael Wendel

"Wir haben seit vielen Jahrhunderten diese Komm'-Struktur gehabt. Da müssen wir umdenken."

Wendel: Das waren die Stammgäste, mit denen ich ins Gespräch gekommen bin. Irgendwann sagte jemand: "Du, ich komme nicht in deine Kirche, aber komm' du doch einfach mal zu uns". Das war für mich der entscheidende, goldene Satz. Daraufhin habe ich dann mit Ute gesprochen und sie war sofort offen und bereit, das auszuprobieren. 

Ich sehe das auch ein stückweit so, dass Kirche immer mehr zu den Menschen hingehen soll. Wir haben seit vielen Jahrhunderten immer diese Komm-Struktur gehabt: "Kommt zu uns in die Kirche, kommt zu uns in die Häuser".

Nein, ich glaube, wir müssen ganz neu denken, umdenken und auf die Menschen zugehen. Die finden wir unter anderem auch in der Kneipe.

DOMRADIO.DE: Das machen sie jeden zweiten Montag im Monat. Wie läuft die Veranstaltung dann ab?

Wendel: Das Spannende ist, dass Ute mittlerweile keine Reservierungen mehr annimmt, weil die Gäste teilweise schon um 18:00 Uhr kommen. Es geht um 19:00 Uhr los. Dann bauen wir unsere Instrumente auf. Ich spiele selber Keyboard, habe einen Schlagzeuger und Cajón-Spieler dabei, teilweise ein paar Sänger und letztens auch einen Gitarristen. Wir bauen dann einen kleinen Altar mit einem schönen Kreuz, einer Kerze und Bibel auf. 

Es gibt immer ein lebensrelevantes Thema, letztens war das Thema Jesus dran. Wer war Jesus wirklich? Entsprechend suche ich auch Lieder aus. "One of Us" zum Beispiel von Joan Osborne. Den Song haben wir dann live eingespielt, um das thematisch geschickt einzuleiten.

DOMRADIO.DE: Das dauert insgesamt eine halbe Stunde. Wer während dieser 30 Minuten Durst hat und ein Bierchen will, der kriegt auch eins?

Wendel: Ja, der kriegt auch eins und der kriegt auch sein Baguette und seine Currywurst. Damit muss ich dann auch leben. Es ist auch völlig in Ordnung, dass die Kellnerin während der Predigt an mir mit einem Tablett vorbeigeht und Bier verteilt.

DOMRADIO.DE: Wie kommt das bei den Leuten in Sulingen an?

Michael Wendel

"Es ist eine ganz große Aufmerksamkeit, Neugierde und Interesse da."

Wendel: Die beste oder die persönlichste, schönste Reaktion war mal, dass jemand gesagt hat: "Ach schade, schon vorbei, das kannst du gerne ein bisschen länger machen". Solch' ein Feedback wünschte ich mir auch mal sonntags morgens. 

Da gibt es eine ganz große Offenheit und großes Interesse, und das ist das Spannende. Die Leute, die da sitzen, sind neugierig, auch auf dieses Format. Da herrscht eine ganz hohe Aufmerksamkeit und es ist eine Neugierde und ein Interesse da.

DOMRADIO.DE: Sie kommen gebürtig aus Gelsenkirchen. Warum ist das genau Ihr Ding, mit den Leuten auf Augenhöhe und in ihrer Sprache zu quatschen?

Michael Wendel

"Ich versuche, die Mensche in ihrer Lebenswirklichkeit und Lebenskultur anzusprechen."

Wendel: Ich bin einfach ein Typ, der das Herz auf der Zunge hat. Ich glaube, dass ich auch ein Stück weit eine Gabe habe, die Sprache der Leute zu sprechen. 

Da gibt es kein großes liturgisches, unverständliches Vokabular, sondern ich versuche, die Menschen in ihrer Lebenswirklichkeit und Lebenskultur anzusprechen. Ich denke, dass mir das doch hin und wieder auch mal gelingt.

DOMRADIO.DE: Aber Sie wollen doch sicherlich auch, dass die Menschen auch wieder verstärkt in ein Gotteshaus gehen. Merken Sie in Sulingen schon so eine Art Aufbruchsstimmung, dass die Leute aus der Kneipe dann auch wieder in die Kirche gehen?

Wendel: Natürlich würde ich mich freuen, wenn die Leute dann auch von der Kneipe in die Kirche gehen. Aber wir haben vor einem halben Jahr erst angefangen und auch vor meiner Zeit gab es hier schon modernere Gottesdienste.

Ich nehme sehr wohl wahr, dass über Beziehungen eher die Bereitschaft entsteht, in einen modernen Gottesdienst zu kommen. Natürlich würde ich mich darüber freuen. Aber wie gesagt, wenn sie nicht kommen, komme ich halt zu ihnen. Zur Not auch in die Kneipe. 

Das Interview führte Carsten Döpp. 

Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands (VELKD)

Die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands (VELKD) wurde 1948 in Eisenach gegründet. Ihr Ziel ist es, die Einheit der lutherischen Kirchen in Deutschland zu fördern und zu stärken. 

Als die Verfassungsgebende Generalsynode am 8. Juli 1948 die Verfassung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) verabschiedete, legte sie den Grundstein für eine nun 75-jährige Geschichte.

Das Bischofskreuz des Präsidenten des Lutherischen Weltbundes (LWB) auf einer Fahne / © Peter Endig (dpa)
Das Bischofskreuz des Präsidenten des Lutherischen Weltbundes (LWB) auf einer Fahne / © Peter Endig ( dpa )
Quelle:
DR