DOMRADIO.DE: In einer so genannten "Nonnen-Studie" aus den USA heißt es – auf einen Satz reduziert, das Ordensleben mit wenig Alkohol, mit wenig Tabak, mit ausgewogener Ernährung und geistiger Tätigkeit schütze vor einer Demenz – im Vergleich zur restlichen Bevölkerung. Können Sie das aus Ihrer Position heraus auch beobachten?
Pater Alexander Holzbach (Leiter des Pallottiner-Missionshauses in Limburg): Nein, nicht direkt. Ich will nicht sagen, dass bei uns viel getrunken wird, aber wir haben Mitbrüder, die dement sind, die durchaus ein ganzes Leben lang sehr diszipliniert gelebt haben. Einige von denen haben wirklich wenig getrunken, waren immer geistig tätig. Ehrlich gesagt, bei der Frage der Demenz – man weiß nicht, wen es trifft.
Also ich bin ja hier zuständig für über 40 alte Mitbrüder. Wir haben im Moment fünf Mitbrüder, die in unterschiedlichen Graden dement sind. Das sind ganz unterschiedliche Typen. Ich glaube nicht mehr an so was, dass bestimmte Dinge vor Demenz bewahren und bestimmte Dinge schneller hinführen. Das mag ja in der Wissenschaft so sein. Aber meine Alltagserfahrung ist: Es kann jeden treffen.
DOMRADIO.DE: Wer noch keinen bewussten Kontakt zu dementen Menschen hatte, hat möglicherweise da auch Berührungsängste. Können Sie das nachvollziehen?
Holzbach: Ja. Besonders in den ersten Zeiten ist das ja schwierig. Die Demenz kommt nicht von heute auf morgen, da gleiten die Leute so langsam aber sicher rein. Und man fragt sich zunächst: Was ist denn hier los? Oder: Wie muss ich denn mit dem umgehen? Und die einen, ich merke das ja auch in meiner Hausgemeinschaft, die einen ziehen sich dann eher zurück, die anderen gehen aktiv auf entsprechende Mitbrüder zu. Ja, ich habe Verständnis dafür, wenn Leute sehr verunsichert sind und nicht wissen, wie sie jetzt da agieren sollen. Man kann ja sehr viel falsch machen.
DOMRADIO.DE: Bei Demenzen kommt es im Gehirn zu Störungen vieler wichtiger kognitiver Funktionen. In erster Linie sind es Störungen des Kurzzeitgedächtnisses, neben anderen Störungen auch. Wie herausfordernd ist das zum Beispiel bei Ihnen im Haus?
Holzbach: Ja, das ist eine große Herausforderung. Besonders am Anfang, wo man nicht weiß, kannst du dich auf eine Zusage verlassen. Oder du stutzt, wir hatten das doch so ausgemacht... Oder der weiß zum Beispiel gar nicht mehr, wann das Mittagessen ist oder vergisst dies oder jenes. Also damit muss man schon umgehen.
DOMRADIO.DE: Brüder oder Patres feiern täglich Gottesdienst. Gibt es denn auch bei Demenzerkrankungen noch das Bedürfnis, die Heilige Messe zu feiern?
Holzbach: Oh ja. In meiner Wahrnehmung spielt die Ordnung eine wichtige Rolle, die Tagesordnung. Wir haben ja eine große Kirche, wo eine öffentliche Messe ist, und wir haben im Haus noch eine Hauskapelle für unsere Kranken, wo jeden Tag um 11 Uhr die Heilige Messe ist. Und gerade für die Demenzkranken ist es ganz klar: Um 11:00 bin ich in der Kapelle und feiere die Messe mit.
Gerade das Langzeitgedächtnis ist ja noch gut da, zum Beispiel wenn Lieder gesungen werden, das Singen ist überhaupt kein Problem. Das Beten auch nicht. Wir beten immer das gleiche Hochgebet, immer die Messbuchtexte. Also nichts Neues, nichts Experimentelles. Da ist ganz klare Liturgie und das geht gut. Da habe ich immer den Eindruck, da sind die daheim, da fühlen sie sich wohl bei, das ist richtig so.
DOMRADIO.DE: Wenn sie jetzt über die Mauern Ihres Pallottiner-Hauses hinausdenken, welche spirituellen Angebote sind gut und richtig für Demenzerkrankte? Eine gewöhnliche Sonntagsmesse, die ja schon mal anderthalb Stunden dauern kann, ist ja möglicherweise auch zu lang und zu anspruchsvoll?
Holzbach: Also das fragt man nur in Köln, dass eine Messe anderthalb Stunden ist. In Limburg ist sie nur eine Stunde (schmunzelt). Ja, ich finde, es gibt heute sehr gute Angebote für Demenzkranke durch die Seelsorgerinnen und Seelsorger vor Ort, die dann sehr kurze Wortgottesdienst halten mit biblischen Geschichten, mit Wiedererkennungseffekt, mit Gebeten, die man kennt aus der Kindheit, mit Liedern, die man kennt. Also ich finde, da läuft sehr viel Gutes.
Das kann natürlich immer noch verstärkt werden, auch gerade durch diese "Woche für das Leben" mit der jetzt neu darauf hingewiesen wird. Also ich finde, da läuft viel Gutes. Aber Sie haben recht, ein normaler Sonntagsgottesdienst, egal wie lange er ist, ist nichts für ein Demenzkranken.
Das Interview führte Tobias Fricke.