DOMRADIO.DE: Fast ein Dutzend Jahre haben Sie mit dem damaligen Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz zusammengearbeitet. Wann haben Sie ihn kennengelernt?
Pater Hans Langendörfer (Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz): Seine Schriften waren mir seit der Würzburger Synode bekannt, persönlich habe ich ihn im Rahmen des Zusammenschlusses der europäischen Bischofskonferenzen kennengelernt, wo er involviert war.
Ich habe ihn da einmal vom Flughafen abgeholt und da hat er mir auf den Kopf zugesagt, dass ihm meine Doktorarbeit gefallen habe. Das war mir natürlich sofort sehr sympathisch. (lacht)
DOMRADIO.DE: 1996 hat er Sie dann als Sekretär zur Deutschen Bischofskonferenz geholt. Das war ja während des Konfliktes mit Rom in Sachen Schwangerenkonfliktberatung.
Langendörfer: 1996 fand der letzte Deutschlandbesuch von Papst Johannes Paul II. statt. Das war ein großartiges und emotionales Erlebnis für mich.
In Folge dieses Besuches und einer Ansprache an die deutschen Bischöfe kam diese Debatte so richtig in Fahrt. Ich habe aber Karl Lehmann immer als einen erlebt, der kompromisslos für eine Beratung eintrat, die dem Schutz des ungeborenen Lebens diente, der für alles eintrat, was Frauen Mut machte, ihre Schwangerschaft anzunehmen und dem Kind das Leben zu schenken.
Er war natürlich auch immer ein Mann Roms. Daher frage ich mich, warum es immer hieß, er habe nichts mit Rom zu tun. Aber in dieser Spannung habe ich ihn erlebt: Er wollte das, was er in Deutschland vorhatte, Rom vermitteln.
Ihm war es ein großes Anliegen, in dieser Frage einen Frieden herzustellen. Es war ja auch eigentlich keine oberflächliche Machtauseinandersetzung zwischen dem Papst und einem deutschen Bischof.
Es war auf der Seite von Bischof Lehmann stets das Bemühen da, durch einen Hilfeplan und konkrete Verabredungen innerhalb einer Beratung mit den Frauen, zur Geburt des ungeborenen Kindes zu kommen. Da war er sehr innovativ und erfinderisch, aber es hat nicht gereicht. Der Heilige Vater hat es nicht akzeptiert.
DOMRADIO.DE: Wie ging Lehmann mit Widerstand innerhalb der Bischofskonferenz um? Es gab ja Gegenwind aus Fulda und aus Köln...
Langendörfer: Er hat wie ein guter Professor alle reden lassen, jeder hat das Wort bekommen. Er wusste, wie man Diskussionen bündeln kann, um die eigene Position aufrechterhalten zu können.
Er hatte eine unglaubliche Geduld. Auch für Zwischendebatten und Etappen. Er hat Wege gefunden, es immer noch einmal neu zu versuchen, auch wenn es kaum Hoffnung auf Einigung gab. Es war die Mischung aus kluger Gesprächsführung und großer Geduld.
DOMRADIO.DE: Wie ging er denn mit Niederlagen um?
Langendörfer: Indem er sagte: "Wir kämpfen weiter." Er war niemand, der sich schmollend zurückgezogen und große Verschwörungstheorien in die Welt gesetzt hat. Es kamen nach einer Niederlage ja auch neue Ziele und Themen. Bei der Debatte um Donum Vitae hat es allerdings wirklich viele giftige und verbitterte Diskussionen gegeben.
DOMRADIO.DE: Welche Bedeutung hat Lehmann für die deutsche und europäische Kirche?
Langendörfer: Er hat der Kirche ein Gesicht gegeben. Er war eine unglaublich gewinnende Persönlichkeit. Ein Mann, der zuhören konnte und neugierig war, der auf andere zugehen und neue Welten erschließen konnte.
Der enzyklopädisch alle Themen durchstudiert hatte. Ein wirklich wissbegieriger Mensch. Er kam nicht mit fertigen Meinungen daher und einer moralisch endgültigen Bewertung. Das haben die Menschen als glaubwürdig empfunden.
DOMRADIO.DE: Was hat Sie privat begeistert?
Langendörfer: Besonders seine Nähe zum Jesuitenorden, seine Prägung durch Karl Rahner. Wie ich war auch Lehmann einst Chauffeur von Karl Rahner gewesen. Man spürte eine gewisse Wesensverwandtschaft hinsichtlich einer Aufgeschlossenheit und Freundlichkeit gegenüber den Menschen.
Es gab einige gemeinsame Wurzeln, Überzeugungen, die durch einen Jesuiten wie Rahner geprägt waren: Die Freude am Glauben, Freude an der Kirche.
Er war ja auch ein wirklich geselliger und humorvoller Mensch. Man musste manchmal die Entscheidung treffen, ob man um 23 Uhr geht und einen geordneten Rückzug hinbekommt, oder mit ihm noch um 1 Uhr da saß, weil es so angenehm war. Und am Morgen war er wieder ganz frisch.
Er hat auch sehr gerne gelacht, er mochte die Menschen und das haben sie gespürt. Er hatte nie Dünkel, er konnte seinem Fahrer die Hand geben und mit ihm auf Augenhöhe reden. Es war ein anderer Stil, nicht von oben herab.
DOMRADIO.DE: Welche Begegnung wird Ihnen besonders in Erinnerung bleiben?
Langendörfer: Wir flogen nach seinem Kardinalat zurück nach Deutschland mit der Lufthansa. Wir nahmen Platz und der Kapitän begrüßte "unseren neuen Kardinal Lehmann".
Und die Leute haben geklatscht. Das habe ich zuvor nie und danach auch nie wieder erlebt. Das war eine kleine, aber typische Szene, die mich gefreut hat.
Das Interview führte Ingo Brüggenjürgen.