DOMRADIO.DE: Der Täter kam aus dem Stadtteil, in dem auch Sie leben. Was geht Ihnen heute, zwei Jahre nach der Tat, durch den Kopf?
Andreas Weber (Hanauer Dechant und Pfarrer von St. Elisabeth in Hanau): Mir geht der Gedanke "Nachbarschaft" durch den Kopf. Er hat neben vielen gewohnt, die auch zu unserer Gemeinde gehören, auch neben den Opfern, kann man sagen. Das ist eine schreckliche Tat, die das Quartier und die ganze Stadt auch wirklich im Herz getroffen hat. Das ist präsent wie damals. Die Leute sind betroffen und auch die Anschlagsorte werden das ganze Jahr über gepflegt gehalten. Es ist eine Wunde, die noch lange nicht geheilt ist.
DOMRADIO.DE: Und jetzt wollen Sie natürlich als katholische Kirche in Hanau gerade heute auch Raum bieten für Erinnerung. Was kann man tun, wenn man jetzt an die Opfer denken möchte?
Weber: Wir haben die beiden Kirchen – Mariä Namen und Sankt Elisabeth – geöffnet, man findet dort die Namen der Opfer. Es gibt die Möglichkeit, Kerzen zu entzünden. Es liegt ein Gebet aus, das man sprechen kann. Es ist eher ein stilles Gedenken, das wir ermöglichen – im Raum unserer Kirchen, die ganz nah an den Anschlagsorten dran sind. Dann werden wir natürlich heute Abend in den Gottesdiensten der Opfer gedenken und uns auch des Themas annehmen.
Aus unserer Gemeinde kommen ja etliche Jugendliche, die auch einen Teil der Opfer gekannt haben. Das Gedenken ist immer da. Die sind mit denen groß geworden, waren im Kindergarten, in der Grundschule zusammen und haben ein ganz normales Verhältnis. So ein Verhältnis wächst ja in unserer Stadt auch durch unterschiedliche Kulturen und auch Herkunftsorte der Leute, die hier wohnen.
DOMRADIO.DE: Was für Emotionen sind zwei Jahre nach der Tat da? Ist es Wut, ist es Verzweiflung? Ist es der Wille, sich aufzulehnen gegen diesen Extremismus?
Weber: Gut, es ist der Wille, einfach auch an die Opfer zu erinnern. Sie haben alle einen Namen, sie haben eine Lebensgeschichte. Das versuchen wir auch, diese Erlebnisse, die die Menschen mit denen hatten, in Erinnerung zu halten. Natürlich müssen wir auch nach vorne schauen und uns wehren, dass so was nicht wieder passiert. Unsere Jugendlichen haben so einen Satz formuliert: "Der Täter hat alleine gehandelt. Wir aber sind vereint in Nächstenliebe und gemeinsam gegen Hass und Rassismus."
In Hanau, in unserer Stadt, leben wir seit vielen Jahrzehnten von der Akzeptanz und der Toleranz. Wir haben ja viele muttersprachliche Leute und auch muttersprachliche Gemeinden in der Stadt, die als Christen diesen Migrationshintergrund mitbringen. Und auch vom Aussehen her, sehen wir – die Christen – genauso aus wie andere Südländer. Und das ist etwas, was uns sehr beschäftigt, dass wir einfach dem Einhalt gebieten müssen.
DOMRADIO.DE: Wie machen Sie das in Hanau im Moment? Wie treten Sie ein für diese Toleranz und Akzeptanz?
Weber: Indem wir uns auch beteiligen, eben auch an den Gebeten. Heute Abend haben wir auch eine religiöse Gedenkfeier, wo auch der Oberbürgermeister dabei sein wird, mit der Jüdischen Gemeinde und der Wallonischen-Niederländischen Kirche, auch die katholische Kirche ist vertreten. Es ist natürlich auch in der Jugendarbeit, im Gespräch, wichtig, dass wir Projekte starten, die in den Stadtteil hineingehen. Es sind oft auch kleine Dinge, den Stadtteil sauber halten zum Beispiel, sodass man eine Ortsverbundenheit pflegt. In unseren Jugendgruppen spüren wir keine Fremdenfeindlichkeit, weil viele auch selber einen Migrationshintergrund haben.
Wohl aber nehmen die das auch wahr, dass so was gibt, auch in den Schulen und den Stadtteilen. Aber eigentlich ist Hanau auf dem Gebiet auch geschult im Umgang der vielen Kulturen. Wir haben einen runden Tisch der Religionen, wo wir im Gespräch sind. Das ist auch verstärkt worden, dass wir uns von unterschiedlichen Religionen und Konfessionen her dem Thema auch nähern.
DOMRADIO.DE: Was ist für Sie heute Abend das Wichtigste, wenn Sie an die Opfer erinnern und ihnen gedenken?
Weber: In der Wallonisch-Niederländischen Kirche habe ich einen Teil der Predigt, da geht es um den Satz "Schwerter zu Pflugscharen". Ich werde vom Acker berichten, ich komme selber von einem Bauernhof. Es wird umgepflügt, es muss Neues wachsen. Natürlich, das Vergessen wird nie gelingen. Das darf auch nicht sein.
Wir müssen an diese Tat erinnern, aber es muss auch neues Wachstum kommen, das diese Stadtgesellschaft nicht gespalten wird dadurch. Dann hätte der Täter ja recht bekommen, sondern dass wir ein neues Ackerfeld bestellen und so auch Neues wachsen lassen – auch im Zusammenleben der Religionen und auch der unterschiedlichen Herkünfte der Menschen.
Das Interview führte Gerald Mayer.