domradio.de: Sie vertreten die These, dass wir inzwischen gar nicht mehr richtig Weihnachten feiern? Was meinen Sie damit? Müssen wir mehr Party machen?
Christoph Quarch (Philosoph, Berater und Buchautor): Das gerade nicht. Ich unterscheide in meinen Überlegungen zwischen "Party machen" und "Feiern". Den Unterschied sehe ich darin, dass "Feiern" eine menschliche Kulturform ist, in der es darum geht, uns in eine feierliche Stimmung zu versetzen. Man sollte etwas anderes machen, als im Alltag. Es sollte etwas sein, was unseren Geist erhebt und unsere Seele nährt.
domradio.de: Party machen ist nicht gleich Feiern, weil wir dabei unsere Seele nicht erheben?
Quarch: Im Prinzip ist das schon so. Party machen ist eher eine Form des Konsumierens, der Unterhaltung oder des Entertainments. Dabei amüsieren wir uns und haben Spaß. Das ist alles gut und schön. Das sollen wir ja auch machen. Aber die traditionellen Feiertage wie das Weihnachtsfest oder auch Jubiläumsfeiern, die bieten uns eine Chance und ein Potential, das wir häufig ungenutzt lassen, nämlich, dass wir uns besinnen und uns dessen vergewissern, dass es etwas gibt, was auch gefeiert wird,: das Fest oder die Person.
domradio.de: Wie wurde denn früher gefeiert?
Quarch: Früher war es so, dass viele Feiern unter dem Vorzeichen der Religion standen. Gerade das Weihnachtsfest, die Geburt Christi, zählte wie andere kirchliche Feiertage dazu. Zu dem Anlass ging man in die Kirche. Es gab bestimmte Zeremonien und Rituale, die man befolgt hat, die aber alle dazu führten, dass man den Menschen die Gelegenheit gegeben hat, sich an die tieferen Dimensionen des Lebens und die Sinnhaftigkeit zu erinnern. Wenn es früher Jubiläums- oder Geburtstagsfeiern gab, dann wurden Toasts auf den Jubilar gesprochen. Man saß zusammen und erzählte sich Geschichten, wie man den zu würdigenden Menschen kennengelernt hat. Da gab es immer einen Anlass, immer etwas, was die Oberfläche des alltäglichen Lebens aufgebrochen hat, so dass man sich mit der eigentlichen Sinnfrage des Lebens auseinandersetzen konnte.
domradio.de: Und das ist heutzutage verloren gegangen?
Quarch: Ich glaube schon. Wenn ich sehe, wie die meisten Feiern heutzutage stattfinden, dann gibt es kaum noch eine Ansprache. Da steht das Essen und Trinken im Vordergrund, wobei das Trinken sogar gelegentlich in Alkoholexzesse ausartet. Das hat wenig mit einer Feierstimmung zu tun. Diese geistige Dimension geht dabei allzu oft verloren. Wenn bei einer Feier nicht mehr der Geist genährt wird oder die Seele Nahrung findet, dann bleibt uns am Ende auch gar nichts anderes mehr übrig, als uns die Bäuche vollzuschlagen.
domradio.de: Inwiefern trifft diese Problematik auch auf Weihnachten zu?
Quarch: Das muss jeder für sich selber ausmachen. Aber oft ist es so, dass beim Weihnachtsfest die tiefere Bedeutung, der eigentliche Sinn dieses Festes ein Stück weit verloren gegangen ist. Man feiert, und weiß gar nicht mehr, was man eigentlich feiert. Klar, Weihnachten ist traditionell ein kirchliches Fest, und Menschen, die sich heute nicht mehr der Religion zugewandt fühlen, können damit weniger anfangen. Aber Weihnachten war immer auch - sogar in vorchristlicher Zeit - ein Fest der Familie, bei dem die Clans in kalten Winternächten zusammenrückten. Dieses Feiern der Familie, sich das Weihnachtsfest zum Anlass nehmen, um miteinander zu reden und sich dessen zu vergewissern, dass man zusammengehört, sich erinnert, was gut und wichtig im vergangenen Jahr war und vielleicht auch ein bisschen in die Zukunft träumt, sind Dinge, wozu das Weihnachtsfest eine wunderbare Gelegenheit bietet. Ich denke, das sollten wir uns nicht entgehen lassen, indem wir das Ganze als eine konsumierbare Party missverstehen.
domradio.de: Also gilt Weihnachten nicht unbedingt nur für religiöse Menschen, sondern für alle?
Quarch: Es gilt ganz unbedingt für alle. Man sagt ja auch, dass Weihnachten das Fest der Liebe ist,und Liebe ist ja nicht nur religiösen Menschen vorbehalten. Gerade in den Tagen nach dem Terror von Berlin sind wir ganz gut beraten, Weihnachten als ein Fest des "Zusammengehörens" zu inszenieren. Das kann die Familie, das kann aber auch der Freundeskreis sein. Aber wir sollten uns an Weihnachten vergewissern, dass die Liebe und die Zusammengehörigkeit die zentrale Säule unseres menschlichen Miteinanders und unserer abendländischen Kultur im Besonderen ist. Das kann man unter christlichen Vorzeichen machen, muss man aber nicht. In der Essenz geht es aber schließlich darum.
Das Interview führte Milena Furman.