Pilgerfahrten können Obdachlosen Sinn und Hoffnung geben

"Beinahe nicht wiedererkannt"

40 Obdachlose aus dem Erzbistum Köln fliegen ins Heilige Land, um auf Jesu Spuren zu pilgern. Andreas Sellner, Leiter der Gefährdetenhilfe der Kölner Caritas, organisiert die Israel-Wallfahrt und zeigt, wie heilsam Pilgern sein kann.

Eine obdachlose Frau / © Harald Oppitz (KNA)
Eine obdachlose Frau / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Warum pilgert die Kölner Caritas ab Donnerstag mit Obdachlosen nach Israel?

Andreas Sellner / © Melanie Trimborn (DR)
Andreas Sellner / © Melanie Trimborn ( DR )

Andreas Sellner (Leiter der Gefährdetenhilfe der Caritas im Erzbistum Köln): Dass Obdachlose zu Stätten pilgern, in denen sie eingeladen und willkommen sind, hat mittlerweile Tradition. Egal, ob das nun das Heilige Land oder Rom ist. 2016 sind wir mit 150 Obdachlosen aus dem Erzbistum Köln auf Einladung von Papst Franziskus sechs Tage lang in Rom gewesen.

Das war so inspirierend und nachhaltig im Erleben für die Einzelnen, das hätten wir vorher gar nicht gedacht. Da entstand dann auch die Idee, so etwas noch einmal zu machen, egal wohin. Ob nun nach Assisi oder Santiago de Compostela. Viele Teilnehmer hatten sich gewünscht, noch einmal auf solche Weise Gemeinschaft erleben und spirituelle Erfahrungen machen zu können.

DOMRADIO.DE: Sie sind schon einige Male mit Obdachlosen gepilgert. Welche Erfahrungen haben Sie da gemacht? 

Sellner: Schon von Anfang wurden immer Fragen der Art herangetragen, ob das nun Tourismus sei, wie fromm die Teilnehmer denn seien und was sie dort überhaupt sollten. Am Anfang dieser Reise war das vielleicht auch gar nicht so klar. Dann wurden es aber immer mehr, die mitkamen. Als wir uns dann nach Rom aufgemacht hatten, fühlten sich viele der Obdachlosen dort aufgehoben.

Das lag natürlich auch an Papst Franziskus, einer sehr, sehr charismatischen Person, die aktiv und europaweit den Kontakt zu Obdachlosen gesucht hat. Die Reise hatte für viele der Teilnehmer auch etwas Sinngebendes, gerade für Menschen, die Brüche und Schwierigkeiten im Leben haben und davon eigentlich auch nichts Positives mehr erwarten.

Für die war das eine Wahnsinnsüberraschung, ein ganz tolles Erlebnis, dort so eine Begegnung zu haben. Und jetzt im Rahmen unserer Glaubensgemeinschaft nach Israel, ins Heilige Land zu fahren und auf den Spuren Jesu zu wandeln, ist natürlich noch einmal eine ganz andere Hausnummer als der Besuch in Rom.

DOMRADIO.DE: Wie sind Sie denn auf die Leute zugegangen? Haben Sie die konkret angesprochen?

Sellner: Das ist alles vor Ort passiert. Bei der Arbeit unserer katholischen Verbände spielt sehr oft auch die spirituelle Begleitung eine große Rolle in der täglichen praktischen Arbeit mit wohnungslosen Menschen. Beim SKM Rhein-Sieg, dem Katholischen Verein für soziale Dienste im Rhein-Sieg-Kreis, ist diese Idee im Grunde genommen entstanden.

Dort hatte sich eine Gruppe von Obdachlosen zusammengefunden, eine weitere kam von Gubbio, der Obdachlosenseelsorge in Köln, und dann noch eine vom Don-Bosco-Haus in Düsseldorf. Es wurden alle Orte, die wir im Erzbistum Köln in der Richtung haben, angesprochen, um eine solche Gemeinschaft zu bilden.

Andreas Sellner

"Es war aber auch viel Sehnsucht da, so etwas zu erleben und einfach dieses Geschenk zu bekommen, völlig unerwartet in diesem Leben noch einmal so eine Wertschätzung erfahren und auf diese Reise gehen zu können."

In der Vorbereitung hatte sich dann sehr gut gezeigt, wie wir die Menschen auf diese Pilgerreise und zu dieser Glaubenserfahrung mitnehmen können – und wie man ihnen das Thema Glauben auch näher bringt, auch wenn es vielleicht schon etwas verschüttet ist, wie es bei vielen von uns nicht mehr täglich eine Rolle spielt.

Es war aber auch viel Sehnsucht da, so etwas zu erleben und einfach dieses Geschenk zu bekommen, völlig unerwartet in diesem Leben noch einmal so eine Wertschätzung zu erfahren und auf diese Reise gehen zu können.

DOMRADIO.DE: Wie schwierig ist es denn, hinterher auf der Straße für diese Menschen weiterzumachen? Die bräuchten vielleicht eher ein dauerhaftes Dach über dem Kopf, könnte man meinen.

Sellner: Das ist richtig und darum kümmern sich auch diese drei Einrichtungen, die ich gerade genannt habe, in Düsseldorf, Köln und in Siegburg. Da arbeiten hochgradig engagierte Sozialarbeiter, die die Menschen genau dabei unterstützen und Hilfsleistungen erbringen. Das ist gesichert.

Aber als Hilfestellung für das, was darüber hinaus geht, also der Suche nach einem neuen Sinn und damit auch neuer Hoffnung fürs Leben, war diese Reise Gold wert. Eine der Nachwirkungen hatte ich ein Mal ganz besonders erlebt, als ich in einem anderen Zusammenhang am Alter Markt in der Kölner Altstadt war. Da begegnete mir einer, den ich viel kleiner in Erinnerung hatte und der auch mit in Rom gewesen war.

Andreas Sellner

"Er strahlte mich so an, dass ich ihn beinahe gar nicht wiedererkannt hätte – er wirkte richtig aufgerichtet."

Der begrüßte mich noch mit demselben Rucksack vom Weltjugendtag, den damals alle Teilnehmer aus Restbeständen für die Reise bekommen hatten. Er strahlte mich so an, dass ich ihn beinahe gar nicht wiedererkannt hätte. Er wirkte richtig aufgerichtet. Da habe ich meinem Gegenüber anmerken können, wie die Pilgerreise ihn für seinen weiteren Lebensweg gepusht hatte.

DOMRADIO.DE: Was haben Sie konkret in Israel auf dem Programm stehen?

Sellner: Mit dieser Pilgerreise begeben wir uns natürlich auf den Weg Jesu ins Heilige Land und werden auch die Stätten besuchen, wo er zu den Armen gesprochen hat. Daneben werden wir auch Yad Vashem besuchen. Israel und Palästina sind natürlich hochpolitische Orte, was sie schon immer waren, auch zu Zeiten Jesu.

Wir wollen also die Geschichte Israels erlebbar machen und den Menschen zeigen, dass auch Jesus in eine Zeit hinein geboren wurde und welche Not er und seine Zeitgenossen damals litten.

DOMRADIO.DE: Finanziert wird die Obdachlosen-Wallfahrt durch Spenden. Müssen die Teilnehmer auch in irgendeiner Form etwas dazu beitragen?

Sellner: "Wat nix koss, es och nix" (Kölscher Ausdruck für "Was nichts kostet, ist auch nichts wert", Anm. d. Red.), das war immer schon so. Die Teilnehmer haben, soweit es ihnen möglich war, einen Beitrag entrichtet, für den viele auch gespart haben.

Die finanzielle Vorbereitung und die Einsammlung von Spenden und Stiftungsmitteln laufen schon seit über einem Jahr und da ist auch ein Teilnehmer-Beitrag eingeplant, der – wo auch immer er dann am Ende herkommt – von jedem entrichtet wird.

Das Interview führte Dagmar Peters.

Was bedeutet "Wallfahrt"?

Das Wort "Wallfahrt" stammt vom Wort "wallen" ab und bedeutet in eine bestimmte Richtung zu ziehen oder unterwegs zu sein. Durch das lateinische Wort "Peregrinatio religiosa" meint es einen Besuch in einer Pilgerstätte mit dem Zurücklegen eines Pilgerwegs. Eher das Ziel steht bei einer Wallfahrt im Vordergrund, weniger der Weg. 

Aus dem Grund sind Christen früher wie heute an bestimmten Heiligen Stätten besonders nahe: im Heiligen Land, an Gräbern von Aposteln, in Rom, Assisi, Lourdes, Loreto, Fatima, Altötting, Kevelaer, Werl, Telgte oder Bethen. 

Keine Wallfahrt nach Altötting / © Armin Weigel (dpa)
Keine Wallfahrt nach Altötting / © Armin Weigel ( dpa )
Quelle:
DR