Pilgerin ist vom Camino del Norte fasziniert

"Dieses Gefühl absoluter Freiheit"

Der Jakobsweg ist nicht ein einziger Pilgerweg, sondern ein ganzes Wegnetz. Der Klassiker ist der Camino Francés. Kathrin Becker ist Redakteurin der Kölner Kirchenzeitung. Ihre Passion ist das Pilgern, zuletzt auf dem Camino del Norte.

Pilger auf dem Jakobsweg / © Gena Melendrez (shutterstock)
Pilger auf dem Jakobsweg / © Gena Melendrez ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: In sieben Jahren haben Sie unterschiedliche Etappen in Deutschland und Frankreich erwandert, jetzt war Spanien dran. Von wo nach wo?

Kathrin Becker (Redakteurin bei der Kölner Kirchenzeitung): In diesem Jahr hat mich mein Weg von der französisch-spanischen Grenze, also der Stadt Irun, an der Küste entlang geführt, über Städte wie San Sebastian und Bilbao bis nach Santander.

Kathrin Becker von der Kölner Kirchenzeitung  / © Jörg Brocks
Kathrin Becker von der Kölner Kirchenzeitung / © Jörg Brocks

DOMRADIO.DE: Sie haben sich langsam an das Kernland von Santiago, an Spanien herangepirscht. Wie haben Sie sich vorbereitet?

Becker: Auf diese Reise jetzt, muss ich gestehen, habe ich mich gar nicht besonders vorbereitet. Das ist der Vorteil.

Wenn man etwas Jahr für Jahr macht, muss man nicht neu überlegen: Was nehme ich denn mit? Welche Hose, welches Shirt passen am besten?

Das ist inzwischen ein relativ routiniertes Packen und auch schon Teil der Vorfreude.

DOMRADIO.DE: Aber Sie haben ein bisschen Spanisch gelernt?

Becker: Ja, ich hatte es versucht. Ich war jahrelang in Frankreich unterwegs und habe dort gemerkt, dass es schon schön ist, die Landessprache so weit zu sprechen und zu verstehen, dass man ein bisschen mit den Leuten kommunizieren kann.

Da ich Spanisch in der Schule überhaupt nicht hatte, habe ich mir überlegt, dass ich mich ein klein wenig einarbeite. Ich konnte hinterher immerhin unfallfrei einen Kaffee bestellen. Das war gut.

Der Golf von Biskaya verbindet spanische Nordküste mit der französische Westküste und liegt auf dem Jakobsweg Camino del Norte / © StockPhotoAstur (shutterstock)
Der Golf von Biskaya verbindet spanische Nordküste mit der französische Westküste und liegt auf dem Jakobsweg Camino del Norte / © StockPhotoAstur ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Nach der langen Corona-Pause haben mittlerweile die Pilgerherbergen alle wieder auf. Haben Sie immer ein Plätzchen für die Nacht bekommen?

Becker: Ja, es war aber nicht immer ganz einfach. Nachdem ich nach den ersten Tagen zweimal das Glück hatte, das letzte Bett in der Herberge zu bekommen, habe ich mich schon gefragt, ob das im weiteren Verlauf noch genauso gut gehen kann.

Aber, und das ist eine der Erfahrungen beim Pilgern: Et hätt noch immer jot jejange. (Es ist noch immer gut gegangen, Anm. d. Red.) Die Herbergen auf dem del Norte sind jetzt nicht so riesig groß. Wenn dann am Nachmittag noch drei, vier Pilger kommen, für die kein Bett mehr da ist, dann findet sich in der Regel eine andere Lösung.

Dann wird eine Matratze noch irgendwo hingelegt, dann werden irgendwo Bänke zusammengeschoben und mit einer Isomatte obendrauf taugt derartiges auch als einmaliges Nachtlager. Es ist ja immer nur für eine Nacht.

DOMRADIO.DE: Sie mussten also keine Nacht unter einer Brücke verbringen.

Becker: Unter einer Brücke nicht. Dafür habe ich teilweise Nächte im Zelt verbracht. Als Sicherheitslösung habe ich nämlich immer noch ein kleines Zelt dabei.

Es war am Ende tatsächlich auch ganz hilfreich, dass ich zum Beispiel, wenn die Herberge wirklich voll war, dann einfach im Garten mein Zelt aufschlagen konnte.

DOMRADIO.DE: Das Zelt als Backup der Camino del Norte hat Sie an der Küste Nord Spaniens entlang geführt. Aber nicht nur. Wie haben Sie die Landschaft links und rechts des Weges erlebt?

Kathrin Becker

"Als würde man das Meer ans Allgäu heften."

Becker: Ich war hin und weg, wie schön das Baskenland ist, wie grün es da ist. Ich fühlte mich im Landesinneren manchmal ein bisschen ans Allgäu erinnert: Weiden und kleinere Wälder und eine sehr hügelige Landschaft.

Nette kleine Orte dazwischen. Als würde man das Meer ans Allgäu heften. So hatte man das Beste aus verschiedenen Welten: Steilküsten, lange Strände – landschaftlich ist dieser Weg wunderschön.

DOMRADIO.DE: War auf dem del Norte denn viel los?

Becker: Es waren einige Pilger unterwegs. Mir fehlt der Vergleich, da ich den den Francés noch nicht gegangen bin. Es waren aber deutlich mehr als in Frankreich unterwegs, was ich als sehr schön und sehr bereichernd empfunden habe.

Es waren Menschen aus vielen Nationen unterwegs. Das ist einfach total schön, wenn man dann irgendwo rastet und jemand kommt vorbei und es ergibt sich ein kurzes Gespräch.

Der Jakobsweg Camino del Norte führt durch das pittoreske Baskenland, dessen Landschaften bisweilen an das Allgäu erinnern können / © hydebrink (shutterstock)
Der Jakobsweg Camino del Norte führt durch das pittoreske Baskenland, dessen Landschaften bisweilen an das Allgäu erinnern können / © hydebrink ( shutterstock )

Dann fragt man einander, wo man herkommt und entscheidet sich auch schnell, auf welcher Sprache man sich nun unterhält.

Abends in den Herbergen sitzt man dann mit Leuten aus Spanien, aus Frankreich oder auch aus England zusammen.

Ein Brasilianer war zeitgleich mit mir auf dem Weg, genauso eine junge Frau aus Südafrika. Man begegnet also wirklich ganz bunt gemischten Truppen. Das war sehr, sehr schön.

DOMRADIO.DE: Der Jakobsweg ist immer auch eine Art Schmelztiegel, denn da laufen sich ganz unterschiedliche Menschen über den Weg, die sich sonst wahrscheinlich nie begegnet wären. Wie war das bei Ihnen? 

Becker: Ich habe es als sehr besonders erlebt, dass, so verschieden diese Menschen sind, sie ja eine Sache eint – nämlich das Pilgern. Und das ist auch der Kern, das merkt man in den Herbergen.

Alles andere ist im Prinzip egal. Ob man Mann oder Frau ist, es gibt einen Schlafsaal, es gibt einen Waschraum. Ob man jung ist, alt ist, welcher Nationalität man ist, ob man Professor für Psychologie ist oder Klempner. Es spielt einfach keine Rolle, denn in dem Moment sind alle Pilger und das ist etwas, das man im Alltag sehr selten nur noch erleben kann.

DOMRADIO.DE: Was tut denn beim Pilgern so gut?

Becker: Es sind einerseits immer dieselben Erfahrungen. Dann kommt aber jedes Jahr immer noch eine neue Erkenntnis hinzu.

Kathrin Becker

"Und dass der Weg einem eigentlich immer genau das auch gibt, was man in dem Moment braucht."

Dazu gehört sicherlich dieses Gefühl absoluter Freiheit. Alles, was du hast, alles was du brauchst, hast du in deinem Rucksack dabei. Das heißt, du bist orts- und zeitunabhängig.

Eine Erfahrung, die man im Alltag so ebenfalls ganz selten macht: Die Dinge auf sich zukommen lassen, offen für Begegnungen sein und was der Tag einem einem schenkt. Wir planen im Alltag alles so genau durch.

Wenn man hingegen pilgert, lässt man alles einfach auf sich zukommen und stellt fest, wie reich man dann beschenkt wird. Und dass der Weg einem eigentlich immer genau das auch gibt, was man in dem Moment braucht.

DOMRADIO.DE: Wie war das unterwegs? Hast du auch Kirchen besichtigt und Gottesdienste besucht?

Becker: So weit möglich, ja. Leider waren in Spanien viele Kirchen geschlossen. In den Städten, wo es möglich war, bin ich dann abends schon mal in den Gottesdienst gegangen, was immer ein schönes Erlebnis von Weltkirche ist.

Ich muss die Sprache nicht können, um so einen Gottesdienst mitfeiern zu können, weil ich einfach weiß, was gesagt wird. Das war sehr schön.

Einen ganz besonderen Moment habe ich in einem Kloster erlebt. Das war eine Gemeinschaft von Schwestern, die auch Pilger aufgenommen haben.

Der Jakobsweg Camino del Norte im spanischen Galizien / © dcuesta (shutterstock)
Der Jakobsweg Camino del Norte im spanischen Galizien / © dcuesta ( shutterstock )

Das heißt, wir waren da dann auch beherbergt und sie haben uns an ihrem Abendgebet, ihrer Vesper teilnehmen lassen. Eine der Nonnen spielte Gitarre und sang sehr zart, sehr schön dazu. Am Ende gab es dann die Möglichkeit, als Pilger einen Einzelsegen zu empfangen.

Das heißt, alle Pilger, die da waren, sind nach vorne gekommen, haben sich in einer Reihe aufgestellt und zwei Schwestern sind dann von Mensch zu Mensch gegangen und haben den Segen gespendet. Da habe ich wieder mal gemerkt, was für ein reiches Geschenk das sein kann.

DOMRADIO.DE: Ganz zum Schluss der Reise gab es noch ein ganz besonders schönes Erlebnis?

Becker: Ja, tatsächlich hat der "Camino-Spirit" weiter gewirkt. Ich war wieder zurück in Irun, wo ich den Zug nehmen wollte und hatte den Morgen noch im Hotel verbracht.

Das ist eh erst einmal komisch, wenn man aus den Herbergen kommt, weil man da so alleine ist. Man ist auf seinem Zimmer alleine. Man ist morgens beim Frühstück alleine.

Kathrin Becker auf dem Jakobsweg (privat)
Kathrin Becker auf dem Jakobsweg / ( privat )

Umso schöner war es dann, als eine Frau mich beim Frühstück ansprach, ob ich was dagegen hätte, wenn sie sich dazu setzt.

Das hatte ich natürlich nicht und es stellte sich heraus, dass es eine Frau aus den Niederlanden war, die am nächsten Tag den del Norte beginnen wollte.

Wir sind dann ins Gespräch gekommen. Sie wollte von mir natürlich ganz viel wissen, beispielsweise wie der Weg ist, wie die Etappen sind, was ich empfehlen kann.

So haben wir uns noch eine gute Stunde sehr schön übers Pilgern ausgetauscht und mir ist die Zeit bis zur Abfahrt des Zuges gar nicht lang geworden.

Das Interview führte Hilde Regeniter.

Jakobsweg

Der Jakobsweg ist ein europaweites Netz von Straßen und Wegen. Seit dem neunten Jahrhundert führt er Pilger vom Baltikum über Polen, Deutschland, die Schweiz und schließlich Frankreich zum angeblichen Grab des Apostels Jakobus ins spanische Santiago de Compostela. Im Mittelalter erstreckten sich die Tagesetappen meist von einem "heiligen Ort", an dem Reliquien verehrt wurden, zum nächsten.

 © Sonja Geus (DR)
© Sonja Geus ( DR )
Quelle:
DR