domradio.de: Wie werden die polnischen Regierungsverantwortlichen auf die Papst-Worte reagieren?
Jürgen Wahl (Politischer Journalist und Polen-Experte): Wahrscheinlich, indem sie ihre Vorurteile gegen den Papst fortsetzen. Denn sie haben in den letzten Wochen oft genug gesagt, dass sie ihn zu liberal finden.
domradio.de: Werden denn die Worte des Papstes irgendetwas ändern – oder geht einfach alles weiter wie bisher?
Wahl: Ich gehe davon aus, dass alles im Wesentlichen weitergeht wie bisher. Denn es hat vor einigen Tagen bereits ein Manöver gegeben, das sehr deutlich ist: Die Regierung hat behauptet, sie hätten bereits eine Million Ukrainer in Polen aufgenommen. Das ist Schwindel! In Wahrheit handelt es sich bei diesen Menschen um Arbeitskräfte. Aber sie werden jetzt versuchen, diese als Flüchtlinge von der Ukraine nach Polen vorzuführen.
domradio.de: Auch von der katholischen Kirche in Polen fordert der Papst ja mehr Offenheit für Flüchtlinge. Da scheint es in der Kirche zwei Fronten zu geben: die regierungsnahen Bischöfe, die zur Radio Maria-Fraktion gehören - und die liberaleren Bischöfe. Wie gespalten ist die Kirche in Polen?
Wahl: Die Kirche ist stärker gespalten, als sie selbst zugibt und zwar nicht nur in zwei Teile, sondern in wenigstens drei. Wobei man sehr schwer die verschiedenen Teile voneinander trennen kann. Es ist auch keine Frage des Alters. Es ist manchmal auch eine Frage des Ortes. Krakau zum Beispiel war und ist, das sieht man auch an der katholischen Wochenzeitung "Tygodnik Powszechny", wesentlich liberaler als andere. Auch in Breslau herrscht ein freundlicherer Ton, eine Reformbereitschaft. Ganz anders ist das in Ostpolen, da wo also früher mal die Russen geherrscht haben. Da ist man extrem konservativ und misstrauisch gegen jede Veränderung.
domradio.de: Und wie wird sich das weiter entwickeln? Wird die Spaltung eher noch zunehmen?
Wahl: Ich glaube nicht, dass sie zunimmt. Man wird jetzt eine Periode des Auf-der-Stelle-Tretens haben, weil man ja in der Regierung auch gleichzeitig fertig werden muss mit der Weiterentwicklung in Europa. Die Regierung hat überaus schnell so getan, als habe sie große Sympathien für den Brexit, also für die Engländer, die herausgehen. Inzwischen widersetzt sich die polnische Wirtschaft diesen Tendenzen und ich glaube, dass auch die Kirche sich dieser politischen Auseinandersetzung um Polens Rolle in der Zukunft in Europa nicht entziehen kann und dass sie das automatisch zu liberaleren Umgangsformen zwingt.
domradio.de: Hat denn der Weltjugendtag dazu beigetragen?
Wahl: Ich kenne viele, die dieses Ereignis vorbereitet haben und ich kenne auch aus eigenem Dabeisein frühere Weltjugendtage. Das sind wirklich Veranstaltungen der Freude und des frommen Wesens und des Optimismus. Sehr wenig politisch.
Das Interview führte Silvia Ochlast.