Bischof stellt sich gegen Justizreform in Polen

"Wir sind Brückenbauer"

Zwei umstrittene Justizreformen der Regierung hat Polens Präsident Duda per Veto gestoppt, einer weiteren stimmte er nun trotz Warnungen der EU-Kommission zu. Der Erzbischof von Katowice sieht das kritisch.

Autor/in:
Marion Sendker
Menschen demonstrieren vor dem Obersten Gericht in Warschau gegen die Justizreform / © Alik Keplicz (dpa)
Menschen demonstrieren vor dem Obersten Gericht in Warschau gegen die Justizreform / © Alik Keplicz ( dpa )

"Ich habe gehofft, dass der Vorsitzende unserer Bischofskonferenz in der Sache das Wort ergreifen würde", gab der Erzbischof von Katowice, Wiktor Paweł Skworc, am Dienstag im Gespräch mit DOMRADIO.DE zu. Die katholische Kirche in Polen hatte sich lange Zeit zurückgehalten und keine eindeutige Stellung zur geplanten Verfassungsänderung bezogen.

Erst als Präsident Andrzej Duda am Montag bekannt gegeben hatte, zwei der drei geplanten Justizreformen abzulehnen, hatte sich Erzbischof Stanisław Gądecki dankend geäußert und festgestellt, dass das Gleichgewicht zwischen den drei Gewalten Parlament, Regierung und Justiz als "Garantie für das reibungslose Funktionieren der Demokratie" erhalten bleiben müsse.

EU versucht Druck auszuüben

Erzbischof Skworc stimmte dem zu und zog auf dem Paderborner Liborifest die Beziehungen zu Europa: "Wir wollen doch als Volk, als Land, als Stadt in Europa und in der EU bleiben. Wir wollen die allgemeinen europäischen Standards behalten, beschützen und weiterentwickeln."

Von der EU-Kommission hatte es gegen die geplanten Reformen Widerstand gegeben. Der Rechtsstaat und die Gewaltenteilung seien in großer Gefahr, warnte Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans. 

"Die Herrschaft des Rechts ist einer der Werte, auf denen unsere Union gegründet wurde." Der EU waren aber in der Sache weitestgehend die Hände gebunden. Die Kommission drohte zwar damit, ein Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrages einzuleiten. Dieser sieht als schwerste Sanktion allerdings lediglich die Aussetzung des Stimmrechts eines Mitgliedslandes vor.

Der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans / © Romano Siciliani (KNA)
Der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans / © Romano Siciliani ( KNA )

Timmermanns sprach ferner von einem Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen. Vorausgesetzt Polen würde das Verfahren verlieren, müsste der Staat im schlimmsten Fall irgendwann ein Zwangsgeld zahlen; eine Aussicht, die die Politiker wohl kaum unter Zugzwang zu versetzen vermag. 

Abgesehen davon wäre so ein Verfahren für beide Seiten nichts Neues: Gegen Polen, sowie gegen andere Mitgliedsstaaten, laufen bereits diverse Vertragsverletzungsverfahren. Im Endeffekt hat die Kommission also keine effektiven Druckmittel gegen Warschau. Damit bleibt den Europapolitikern - wie so oft - nur noch die Diplomatie.

Justizreform nötig, aber nicht so

Eine Justizreform sei zwar nötig, sagte Erzbischof Skworc. Denn das Justizwesen des Landes habe sich seit dem Kommunismus kaum mehr verändert. Eine Reform bedürfe indes eines offenen Diskurses. "Man muss in aller Ruhe Absprachen treffen und alle Seiten der politischen Szene in den Dialog einbeziehen."

 Wiktor Sworc, Erzbischof von Kattowitz / © Markus Kremser (KNA)
Wiktor Sworc, Erzbischof von Kattowitz / © Markus Kremser ( KNA )

Die Kirche sieht Skworc in dem Zusammenhang als Vermittler und weniger als politischen Akteur. Seit jeher habe sie diese Position inne und dieser Tradition wolle man treu bleiben: "Tradition ist ein Fundament für die Zukunft und wir wollen dann auch als Kirche Brückenbauer bleiben für die Entwicklung in Polen." Als Kirche wolle man deswegen die Akteure der politischen Szene lediglich zusammenführen, "das ist unsere Aufgabe", so Skworc.

Eine ambitionierte Aufgabe, die dringender denn je scheint. Für zumindest eines der geplanten drei Reformgesetze kommt jede kirchliche Intervention indes zu spät. Am Montag hat Präsident Duda einen Gesetzesentwrf unterschrieben, wonach der Justizminister im Alleingang künftig Gerichtspräsidenten entlassen und ernennen darf.

Der Streit um die Unabhängigkeit von Polens Justiz

Gegenstand der mittlerweile jahrelangen Debatte ist eine umfassende Justizreform, die insbesondere das Oberste Gericht (SN) betrifft. Das SN ist nicht nur die letzte Instanz des ordentlichen Rechtswegs, sondern ist zuständig für die Überprüfung von Wahlvorgängen des polnischen Parlaments. Die eingebrachten Gesetzesentwürfe sehen unter anderem vor, dass der Justizminister alle amtierenden Richter des Gerichts in den Ruhestand versetzen und einen Interimschef bestimmen darf.

Solche gravierenden Änderungen seien nicht mit EU-Recht vereinbar, skandieren Brüssel und das polnische Volk in seltenem Einklang. In der Begründung zum Entwurf wird dagegen erklärt, dass man mit der Reform eine Rechtsvereinheitlichung beabsichtige und dem Dualismus aus Gesetzen und Gerichtsentscheidungen ein Ende bereiten wolle.

Enttäuschung über Schweigen der Kirche

Die Rechtslage im Land müsse an ein "gesetzlich nichttypisiertes Normen- und Wertesystem, das aus christlichen Moralvorstellungen herrührt" angepasst werden. Es sei nötig, Divergenzen zwischen dem formellen Recht und "gerechten Entscheidungen" aufzuheben. Kritiker sehen darin eine gesetzliche Bindung der Gerichte an christliche Moralvorstellungen in Polen.

Die Kirche äußerte sich dazu nicht explizit. Auf Nachfrage der Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) antwortete die Bischofskonferenz mit Schweigen. Die Präsidentin des Obersten Gerichtshofs, Malgorzata Gersdorf, hatte sich unlängst enttäuscht über dieses Verhalten gezeigt. In einem Interview der Süddeutschen Zeitung konstatierte die Juristin der katholischen Kirche enge Verbindungen zur Regierungspartei: "Deswegen hat sie bisher nichts gesagt und wird auch in Zukunfts nichts sagen."

Nun muss die Kirche sicherlich nicht öffentlich auftreten, um ihrer selbst gegebenen Vermittlerrolle gerecht zu werden. Eine offizielle Stellungnahme - unabhängig der inhaltlichen Richtung - wäre aber gerade in einem so katholisch geprägten Land wie Polen angezeigt. Dabei geht es wahrscheinlich wahrlich weniger um eine politische Richtungsweisung, als vielmehr um Glaubwürdigkeit der Kirche gegenüber den protestierenden Polen und den politischen Entscheidungsträgern. Denn es ist schwer vermittelbar, wie eine anerkannte Größe, wie die katholische Kirche in Polen, eine Brücke bauen will - in aller Stille.

Katholische Kirche in Polen

Die römisch-katholische Kirche hat in Polen traditionell großen Einfluss. Ihr gehören knapp 90 Prozent der 33 Millionen Bürger an. In den vergangenen Jahren verlor die Kirche aber besonders in der jungen Generation an Ansehen. In der Hauptstadt Warschau wählten in diesem Schuljahr nur noch 29 Prozent der Schüler in der gymnasialen Oberstufe das Fach katholische Religion. Nach Angaben der Bischofskonferenz besuchten 2021 landesweit 28,3 Prozent der Katholiken die Sonntagsmesse.

Prozession in Polen / © Dariusz Banaszuk (shutterstock)
Prozession in Polen / © Dariusz Banaszuk ( shutterstock )
Quelle:
dpa , DR