DOMRADIO.DE: Es sind verheerende Anschuldigungen: Migranten werden an den EU-Außengrenzen mit Hunden gejagt oder bei der Abschiebung unter Drogen gesetzt. Die EU-Grenzschutzagentur Frontex soll das entweder billigen oder sogar aktiv beteiligt sein. Die Vorwürfe kommen vom ARD-Magazin "report München", das interne Dokumente kennen will. Sie kennen Sie die Geschichten vieler Geflüchteter aus erster Hand. Wenn sie solche Anschuldigungen hören, überrascht Sie das?
Pater Claus Pfuff (Leiter des Jesuiten Flüchtlingsdienstes): Diese Vorwürfe sind nicht neu. Viele Flüchtlinge berichten uns, was an den Grenzen gerade in Bulgarien oder im Osten passiert und das hat natürlich auch Auswirkungen bei den Rückführungen. Da wir die Dokumente nicht kennen, auf die sich die neuen Medienberichte beziehen, kann ich nichts konkret zu den Vorwürfen sagen. Allerdings ist uns bekannt, dass die von Ihnen genannten Vorwürfe bei Abschiebungen oder den sogenannten geordneten Rückführungen vorkommen.
DOMRADIO.DE: In der öffentlichen Debatte wird oft US-Präsident Donald Trump für seine Grenzpolitik zu Mexiko kritisiert. Doch was sich an den europäischen Außengrenzen abspielen soll, das klingt teilweise noch gravierender. Warum regen wir uns so über Trump und Amerika auf und die Vorwürfe, die es bei uns gibt, scheinen irgendwie niemanden zu interessieren?
Pfuff: Bereits in der Bibel steht ja das Wort Jesu "Der Splitter im Auge des anderen fällt eher auf als der Balken im eigenen." Ich glaube, das ist es auch, was in diesem Fall wohl leider mitspielt.
DOMRADIO.DE: Man kann ja fast schon philosophisch die Frage stellen, warum solche Übergiffe immer wieder passieren. Wieso gehen Menschen so mit anderen Menschen um, die aus Notlagen fliehen?
Pfuff: Nicht die europäische Grenzschutzpolizei Frontex ist das Problem, sondern eine Politik der Abschreckung, die sich auf einen starken Grenzschutz versteift. Dabei ist natürlich die Gefahr, dass für Schutzsuchende plötzlich keine Gewährung von Schutz mehr da ist. Letztendlich wird nur noch geschaut, wie wir die Menschen wieder loswerden.
Es ist immer eine Schwierigkeit, wenn plötzlich ein Machtgefälle von oben nach unten entsteht. Dem sind Schutzbedürftige dann ausgesetzt und es gibt keine Möglichkeiten mehr, ihre Rechte einzufordern und zu bekommen. Letztendlich ist auch es eine Möglichkeit für bestimmte Menschen, Gewalt gegenüber anderen Menschen auszuüben, wo niemand weiß, ob sie jemals wieder für ihre Rechte kämpfen können.
DOMRADIO.DE: Aber Europa hat ja auch eine Verantwortung mit Geflüchteten menschenwürdig umzugehen, oder?
Pfuff: Natürlich haben wir diese Verantwortung. Das ist natürlich auch das, was jetzt auch wieder neu gefordert wird. Auf die Menschenwürde zu achten und die Menschenrechte zu schützen. Schutzbedürftigen auch Schutz zu gewähren.
DOMRADIO.DE: Die Situation wird sich wahrscheinlich in den nächsten Jahren nicht dramatisch verbessern. Die Europäische Union plant sogar die Grenzschutzbeamten von 1.500 auf 10.000 aufzustocken. Vielleicht sehen Sie ja eine Alternative. Wie sollten wir mit Menschen umgehen, die zu uns nach Europa kommen wollen?
Pfuff: Das eine ist, dass es nicht darauf ankommt, wie viele Beamte es sind. Es kommt darauf an, was im Hintergrund passiert. Welche Taten oder welche Einstellungen dahinter stehen. Wie gehen Beamte mit den Menschen um und wie wird dieses Verhalten auch kontrolliert und überwacht? Wie kann so etwas hier in der EU geschehen?
Das andere ist, dass wir auch einfach mal wieder zur Realität zurückkehren sollten. Über wie viele Menschen sprechen wir eigentlich, die überhaupt kommen wollen. Wie ist es möglich denjenigen, die Schutz suchen und auf Flucht sind, einfach auch Hilfe zu gewähren.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.