DOMRADIO.DE: Papst Franziskus hat für diesen Freitag einen weltweiten Gebets- und Fastentag für den Frieden in Nahost ausgerufen. Am Wochenende hat er auch mit US-Präsident Biden telefoniert. Das Kirchenoberhaupt mischt sich also ein in Fragen von Krieg und Frieden. Können solche Schritte in Konfliktlagen wirklich etwas verändern, oder ist das nur Symbolpolitik?
Prof. Ralph Rotte (Lehrstuhlinhaber für Internationale Beziehungen, RWTH Aachen): Der Heilige Stuhl versucht in solchen Situationen stets, alle seine diplomatischen Verbindungen spielen zu lassen, um Konflikte zu entschärfen oder zumindest humanitäre Hilfe und Zurückhaltung zu ermöglichen. Dazu gehören auch persönliche Kontakte des Papstes mit ausländischen Entscheidungsträgern und Staatsoberhäuptern wie Präsident Biden oder Präsident Erdogan.
Das hat natürlich vor allem einen appellativen Charakter und wird kaum etwas bringen, wenn die Konfliktparteien nicht von vorneherein eine gewisse Bereitschaft in diese Richtung aufweisen. Auf der anderen Seite hat der Papst auch über konfessionelle oder religiöse Grenzen hinweg die traditionelle Rolle eines Weltgewissens oder moralischen Mahners, auch wenn diese immer wieder mit der Realpolitik kollidiert.
DOMRADIO.DE: Gab es denn in der Geschichte Situationen, in denen die Vermittlung des Heiligen Stuhls wirklich zu Frieden geführt hat?
Rotte: Nicht viele. In den meisten Fällen ist die moralisch-diplomatische Intervention der Päpste in Konflikten gescheitert; das berühmteste Beispiel ist etwa die Friedensinitiative Papst Benedikts XV. zur Beendigung des Ersten Weltkrieges.
Allerdings ist das Paradebeispiel eines erfolgreichen Engagements des Papstes die Verhinderung eines Krieges zwischen Argentinien und Chile durch eine Mahnung Johannes Pauls II. 1978 und die darauffolgende Vermittlung zur Beilegung des Streits um den Beagle-Kanal zwischen den beiden. Allerdings hatte das Wort des Papstes damals in den beiden katholischen südamerikanischen Ländern besonderes Gewicht und die vatikanische Diplomatie brauchte Jahre, um einen Kompromiss zu vermitteln. Und die argentinische Junta hat dann bekanntlich statt Chile 1982 Großbritannien (die Falklands) angegriffen.
DOMRADIO.DE: Welche Rolle spielen die Kirchen explizit im Nahostkonflikt? Der lateinische Patriarch von Jerusalem hat sich vergangene Woche als Austauschgeisel in Gaza angeboten. Interessiert das die Konfliktparteien überhaupt?
Rotte: Äußerungen oder Handlungen der Kirchen werden Konfliktparteien kaum zu einer Veränderung ihres Verhaltens bewegen, können aber im Verein mit anderen Stimmen (UN, andere Staaten, humanitäre NGOs etc.) vielleicht den Druck auf sie erhöhen, sich stärker zu mäßigen, d.h. stärker auf humanitäre Belange zu achten. Allerdings betrifft dies vor allem Israel; von der Hamas ist sicher keinerlei Offenheit für humanitäre Belange zu erwarten. Damit ist die Moralpolitik der Kirchen sicher immer zu einem großen Teil Symbolpolitik, welche die kirchlichen Akteure sicher ehrt, aber in ihrer Wirkung deutlich begrenzt ist.
DOMRADIO.DE: Der Vatikan sagt, dass er explizit in Konflikten keine Stellung bezieht. Das führt zum Beispiel zu Unmut in der Ukraine, weil das mitunter als pro-russisch ausgelegt wird. Ähnlich werfen Stimmen in Israel dem Heiligen Stuhl eine Nähe zu Palästina vor. - Ist diese Positionierung bzw. nicht Positionierung richtig so, oder problematisch? Sollte der Vatikan da vielleicht mehr Farbe bekennen?
Rotte: Es gehört zur traditionellen Position des Heiligen Stuhls, sich nicht auf eine Seite zu schlagen, sondern stets mehr oder weniger abstrakt auf Prinzipien der Humanität und des Völkerrechts und das Streben nach Frieden zu verweisen. Gleichwohl ist diese grundsätzliche Neutralität (auch um sich einerseits nicht in die "Niederungen" politischer Konflikte zu begeben und andererseits die Möglichkeit von Vermittlung und moralischer Ermahnung zu gefährden) nicht immer mit dem Vermeiden einer Stellungnahme verbunden.
So hat ja etwa Kardinal Parolin das Selbstverteidigungsrecht Israels unterstrichen, und Johannes Paul II. hat etwa in den Balkankriegen der 1990er Jahre ziemlich deutlich Stellung gegen die Serben (und letzten vor allem für die Kroaten) bezogen. Auf ihn geht ja auch sehr stark die aktualisierte Rechtfertigung humanitärer Interventionen zur Beendigung von Kriegsverbrechen etc. zurück, als allerallerletztes Mittel zur Verhinderung von noch mehr Leid.
Dabei wird im Sinne von Ausgewogenheit und moralischer Verpflichtung aber auch stets die Notwendigkeit der Suche nach einer Beendigung der Gewalt und der Schonung der Zivilbevölkerung unterstrichen.
Allerdings gibt es gerade im Nahen Osten das Problem, dass zumindest der Vatikan nicht immer als wirklich unparteiisch wahrgenommen wird; so hat er sich nach dem israelischen Unabhängigkeitskrieg und der Nakba ziemlich eindeutig auf die Seite der Palästinenser gestellt, und bis heute gibt es einen gewissen propalästinensischen Bias in Teilen der Kurie, wohl aufgrund der humanitären und rechtlichen Probleme der Bewohner des Gazastreifens und des Westjordanlandes. Man erinnere sich an den Vergleich von Gaza mit einem KZ durch Kardinal Martino. Entsprechend ist das Verhältnis zwischen Vatikan und Israel nicht ungetrübt, und das Wort des Papstes für die israelische Regierung wohl so bedeutsam nicht.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.