DOMRADIO.DE: Die AfD ist in Hessen auf Platz zwei, in Bayern auf Platz drei gelandet. Was ist da passiert?
Dr. Andreas Püttmann (Politikwissenschaftler und katholischer Publizist): Da schlägt sich nun erwartbar der allgemeine Rechtstrend nieder, der ja ein internationaler ist, nicht nur in Deutschland und Europa.
Wir haben inzwischen eine massive Unwucht in den Umfragen auch im Bund: Nur noch ein Drittel der Bevölkerung ordnet sich im politischen Spektrum bei den Parteien links der Mitte ein und zwei Drittel Mitte-Rechts bis Rechtsaußen. Das hat viele Gründe: kulturelle, medial-kommunikative, vor allem durch die Auflösung der Kompetenzhierarchie durch eine Entprofessionalisierung der Meinungsbildung im Internet und in Social Media. Das Niveau des öffentlichen Diskurses verplumpt.
Hinzu kommt der hybride Krieg Russlands, das im Westen massiv Unzufriedenheit schürt und Fake News verbreitet mit der Folge von Desorientierung, Verwirrung und Radikalisierung. Die Wut wird ja inzwischen regelrecht bewirtschaftet. Und es gibt natürlich ungelöste politische Probleme wie die Migrationskrise, wo Ordnung, Begrenzung und Integration verbessert werden müssen, sowie Wohnungsmangel, Inflation, die Energiewende, die wirtschaftliche Entwicklung und andere Probleme. Die multiplen Krisen verunsichern die Menschen massiv. Wir haben inzwischen auch eine hochgradige bundespolitische Unzufriedenheit mit der Ampel, die sich hier niedergeschlagen hat. In Hessen haben nach eigener Aussage 45 Prozent der Wähler mehr bundespolitisch gewählt, in Bayern 35 Prozent.
DOMRADIO.DE: Was folgt daraus jetzt für das bundesweite Problem? Wie umgehen mit den Rechtsextremen von der AfD?
Püttmann: Da ist ein Vierklang nötig, nämlich: Probleme lösen, ausgrenzen, aufklären und Kompromissbereitschaft zwischen Demokraten pflegen. Die oben genannten Probleme müssen einfach gelöst werden. Dazu gehört allerdings auch die Eindämmung von Hass und Hetze, soweit das rechtlich und durch Bildungsanstrengungen möglich ist.
Ich warne davor, die Schuld einseitig den herkömmlichen Parteien zuzuweisen, denn wir sehen ja auch in vielen anderen Ländern, wo andere Parteien regieren, dass wir dieselben Effekte haben, ein starkes Misstrauen gegen die Etablierten. Das Wahlergebnis hängt auch mit dem Wähler zusammen. Es ist nicht nur eine Reaktion auf Politik von Parteien.
DOMRADIO.DE: Was meinen Sie, welche Schlüsse die CDU unter Friedrich Merz jetzt aus den beiden Wahlen ziehen wird?
Püttmann: Friedrich Merz persönlich hat stets wesentlich schlechtere demoskopische Werte als Hendrik Wüst, nun auch als Boris Rhein. Abgesehen vom beliebtesten Ministerpräsidenten Deutschlands, Daniel Günther, der auf 69 Prozent Zufriedenheit in seinem Bundesland kommt. Im Bund dümpelt die Union dagegen bei 26 bis 28 Prozent.
Es klang schon ein bisschen pflichtschuldig, wie Carsten Linnemann gestern versuchte, Merz mit Rheins Wahlerfolg in Verbindung zu bringen: Er habe die "Säle gefüllt". Linnemann appellierte auch an die Geschlossenheit der Partei, der Boris Rhein seinen Sieg verdanke – womit er quasi den Merz-Kritikern einseitig die Schuld für die schwachen Werte im Bund zuschob. Dadurch hat er aber im Grunde auch eingestanden, dass die Partei in wesentlichen Teilen mit ihrem Vorsitzenden nicht glücklich ist.
Die Frage ist aus meiner Sicht nur noch, wann Merz zurücktritt und nicht ob. Seine parteiinternen Konkurrenten fürchten natürlich, die absehbaren Stimmenverluste des kommenden Jahres bei den Landtagswahlen im Osten und der Europawahl auf ihr Konto buchen zu müssen. Die einzige Hoffnung für Merz, doch noch Kanzler zu werden, ist eine Sturzgeburt durch ein vorzeitiges Ampel-Aus. Dann müssten ihn aber Grüne oder SPD zum Kanzler wählen, denn er wird ja wohl nicht das Thüringer Modell durchziehen wollen und sich mit Stimmen von FDP und AfD zum Kanzler wählen lassen. Ich halte das für sehr unwahrscheinlich. Und so muss die CDU einfach eine andere Führung haben.
DOMRADIO.DE: Lassen Sie uns kurz noch auf das miserable Abschneiden der SPD in Hessen schauen. Da hatten sich die Sozialdemokraten ja deutlich mehr als die kümmerlichen 15 Prozent erwartet, ein historisches Tief. Woran hat es gelegen?
Püttmann: Zunächst einmal auch an relativ starken Grünen in Hessen. Die haben ja überdurchschnittlich abgeschnitten. Vor allen Dingen aber daran, dass Nancy Faeser im Bund das Innenressort hat und hier zuständig ist für die Probleme, die am meisten im Moment die Bevölkerung bewegen: Migration, Sicherheit. Sie hat da auch einen nicht ganz klaren Kurs gefahren, sondern hat Positionen gerade in den letzten Wochen zum Teil revidiert.
Hinzu kommt auch, dass die Wähler sich daran stoßen, wenn sich ein Politiker bei einer Kandidatur im Land eine sichere Rückfallposition im Bund offen hält. Ich persönlich hätte damit gar kein Problem, dass ein Politiker im Bund bleibt, wenn ein Angebot ausgeschlagen wird, dem Land zu dienen. Aber da gibt es irgendwie so ein Standesbewusstsein in Deutschland, dass man verlangt: entweder wir oder die anderen. Das ist dann gegen Frau Faeser losgegangen.
Und vielleicht ein letztes noch: Sie ist auch seit Monaten, im Grunde seit Beginn ihrer Amtszeit, eine Zielscheibe rechtsradikaler Hetze, weil sie eben auch gegen Rechtsextremisten vorgeht. Es schwingen auch immer etwas frauenfeindliche Töne dabei mit, wie man es ja auch bei "Merkel muss weg" und der Hasskampagne gegen Claudia Roth sieht. Die deutsche Rechte hat immer auch eine gewisse Misogynie.
DOMRADIO.DE: Jetzt müssen wir auch noch auf Bayern gucken. Die Freien Wähler konnten deutlich zulegen, am deutlichsten aber auch dort die AfD. Welche Konsequenz folgt daraus für die künftige Regierungsarbeit in München?
Püttmann: Das ist schwierig zu prognostizieren. Was wohl feststeht, ist, dass die CSU auch ein Problem mit Aiwanger sieht. Man erlebte ihn als Brandbeschleuniger und Demagoge, der in Erding im AfD-Jargon dazu aufrief, sich die Demokratie „zurück zu holen", so als hätten wir keine mehr. Zudem sehen ihn 35 Prozent der bayrischen Bevölkerung als nicht glaubwürdig an, also als Lügner in der Flugblatt-Affäre.
Die CSU könnte versuchen, ihn zumindest als stellvertretenden Ministerpräsidenten zu verhindern. Sie stößt dabei aber auch auf die eigenen Anhänger, die Aiwanger in der Affäre zu 65 Prozent für glaubwürdig hielten und die zu 88 Prozent das Festhalten Söders an Aiwanger für richtig hielten!
Wie man denen jetzt nach monatelangem Trommelfeuer gegen die Grünen, mit denen man gar nichts machen könne, weil ihnen das „Bayern-Gen“ fehle, vermitteln will, dass man jetzt vielleicht doch mit ihnen zusammengeht, statt mit den Freien Wählern, wenn die an Aiwanger festhalten, ist nahezu ein Ding der Unmöglichkeit. Söder hat seine eigene Beinfreiheit durch den kategorischen Ausschluss der schwarz-grünen Option so weit eingeschränkt, dass er jetzt kaum noch anders als mit den Freien Wählern und Aiwanger regieren kann.
Das Interview führte Hilde Regeniter.