KNA: Frau Lada-Konefal, worauf muss sich die katholische Kirche in Polen einstellen, wenn Donald Tusk gemeinsam mit dem Wahlbündnis Dritter Weg und der Linken die Regierung übernimmt?
Agnieszka Lada-Konefal (Vizedirektorin des Deutschen Polen-Instituts): Eine Regierung unter Donald Tusk wird versuchen, die bestehenden Verbindungen zwischen Staat und Kirche zu kappen. Sie wird nicht akzeptieren, dass sich Priester und Bischöfe in die Politik einmischen. Sie wollen auch die finanziellen Privilegien der Kirche begrenzen. Es wird auch um die Zukunft des katholischen Religionsunterrichts in der Schule gehen.
KNA: Das neue liberal-konservative Wahlbündnis Dritter Weg hat überraschend gut abgeschnitten und 14,4 Prozent der Stimmen bekommen. War diese Gruppierung ein Game Changer?
Lada-Konefal: Der Dritte Weg hat vor allem viele Nichtwähler von 2019 mobilisiert. Es gibt mehrere Gründe für den Erfolg des Bündnisses.
Erstens, sie waren wirklich ein dritter Weg; eine Option für jene, die weder die bisherige Regierungspartei PiS noch die größte Oppositionsformation Bürgerkoalition wählen wollten. Es gab genug Wähler, die genug vom Kampf zwischen PiS und Bürgerkoalition hatten und sich eine Alternative wünschten. Da der Dritte Weg nicht so progressiv ist wie die Linke, konnten auch Konservative ihn wählen.
Zweitens, der Dritte Weg hat eine gute, inhaltliche Kampagne geführt. Die Botschaft war: Wir wollen weg von all diesen Kämpfen.
KNA: Wie kam der Dritte Weg bei praktizierenden Katholiken an?
Lada-Konefal: Praktizierende Katholiken sind wie alle Polen gespalten. Es gibt die Konservativen, die die PiS unterstützen und den Dritten Weg als zu progressiv ablehnen. Es gibt aber auch Fortschrittliche; und gerade für sie ist der Dritte Weg die richtige politische Kraft. Man darf nicht vergessen, Teil des Dritten Wegs ist die Volkspartei PSL, also die Bauernpartei, die schon immer von katholischen Landwirten gewählt wurde.
KNA: Wie steht die katholische Bischofskonferenz zum Dritten Weg und dessen Kopf Szymon Holownia?
Lada-Konefal: Die Bischöfe in Polen sind ebenso tief gespalten wie die Gesellschaft. Es gibt Bischöfe, die sehr progressiv sind, wie der Erzbischof von Lodz, Grzegorz Rys, der gerade Kardinal geworden ist. Viel lauter und bekannter sind die konservativen Kirchenmänner - die bestimmt nicht mit Holownias Vorschlag zufrieden sind, dass der Staat und die Kirche separate Wege gehen sollen.
Der Dritte Weg ist für eine Volksabstimmung über die Zukunft von Abtreibung in Polen. Die Tatsache, dass Holownia Abtreibungen nicht ausschließt, sorgt für Kritik aus konservativen katholischen Kreisen.
KNA: Wenn Tusks Bürgerkoalition, der Dritte Weg und die Linke eine Regierung bilden, wie könnte künftig das Abtreibungsgesetz aussehen?
Lada-Konefal: Das wird bestimmt ein wichtiges Thema bei den Koalitionsverhandlungen. Die Linke und Tusk sind für ein liberales Abtreibungsgesetz. Er machte diese Position zur Bedingung für einen Platz auf der Wahlliste der Bürgerkoalition.
Das Thema hat also Priorität. Aber die neue PiS-Opposition wird die Regierung als Killer bezeichnen. Es wird eine heftige Debatte geben. Und eine weitere Polarisierung der polnischen Gesellschaft, falls es zum Referendum kommt.
KNA: Welche Migrationspolitik erwarten Sie von so einer Regierungskoalition?
Lada-Konefal: Die Regierungskoalition wird keine radikale Wende durchsetzen. Denn alle wissen, die Polen sind nicht besonders offen für Migranten. Und 2024 gibt es neben den Europa- auch Kommunalwahlen, und 2025 soll der neue Präsident gewählt werden.
Die heutige Opposition weiß sehr genau, sie muss aufpassen; denn die PiS wird jede Chance nutzen, um die Regierung anzugreifen. Und das Thema Migration ist dafür ideal. Die neue Regierung wird sich aber offen in Europa zeigen.
Das Interview führte Oliver Hinz, KNA.