epd: Was reizt Sie am Präses-Amt?
Van Niekerk: Der Gestaltungsraum ist größer als in einem Kirchenkreis, und da kann ich mich mit meiner kirchenleitenden Erfahrung - insbesondere in der Kommunikation - einbringen. Ich stehe für ein echtes Miteinander, zum Beispiel zwischen den Kirchenkreisen und der landeskirchlichen Ebene.
epd: Sie wären die erste Frau an der Spitze der rheinischen Kirche. Ist dieses Kriterium für Sie wichtig?
Van Niekerk: Die Besetzung des Präses-Amtes ist für mich eine Frage von Kompetenz und Qualifikationen. Meine Stärken sind mein tiefverwurzelter Glaube, meine geistliche Begeisterungsfähigkeit, Kommunikations- und Durchsetzungsvermögen sowie Konfliktfähigkeit. Das braucht die rheinische Kirche. Deshalb habe ich die Nominierung angenommen. Als erste weibliche Präses wäre ich in guter Gesellschaft anderer Frauen an der Spitze von Landeskirchen.
epd: Welches Profil wünschen Sie sich für die rheinische Kirche?
Van Niekerk: Erkennbar evangelisch, sichtbarer in unserer Gesellschaft, vielfältiger, weniger Behördenimage.
epd: Also weniger Bürokratie?
Van Niekerk: Es gibt in unseren Strukturen sehr viel Klein-klein, und von außen wird eine übermäßige Verwaltung wahrgenommen. Dieses Image würde ich gerne ändern und unsere Inhalte nach vorne stellen.
epd: Wie denn?
Van Niekerk: Um direkt ein konkretes Beispiel zu bringen: Durch die Pandemie und den digitalen Schub sind die unterschiedlichen Wege der Verkündigung neu ins Blickfeld gerückt. Die sich ändernden Qualitätsanforderungen machen Lust, noch einmal systematischer mit unseren Gottesdienst-Coaches zu arbeiten. Eine regelrechte Aversion habe ich gegen den typischen Kirchensprech entwickelt. Wir müssen verständlicher werden und uns in der Art unserer Verkündigung stärker an den Mechanismen sozialer Medien orientieren.
epd: Wie wollen Sie junge Leute künftig erreichen?
Van Niekerk: Wir haben ja bereits mehr Partizipation in unseren Strukturen - dank der Jugendsynode. Reden wir weiter über unseren Kern: Jugendliche lassen sich für Gott und für Gottesdienste begeistern. Ich komme aus einer Gemeinde, in der Jugendliche auch selbstverständlich im Gottesdienst mitwirken. Für sie ist der Gottesdienst der Ort für Gotteslob, Klage und das, was wir sonst brauchen. Deshalb gebührt dem Gottesdienst viel Aufmerksamkeit.
epd: Nach einer Projektion Freiburger Wissenschaftler wird sich die Mitgliederzahl der evangelischen Kirche bis 2060 halbieren. Steht die nächste Präses-Amtszeit also unter dem Vorzeichen eines Rückbaus?
Van Niekerk: Trotz einer beängstigenden Entwicklung der Austrittszahlen möchte ich meine Energie nicht auf die Frage beschränken, was wir streichen und über Bord werfen. Natürlich kommen wir trotzdem um Prioritätendiskussionen nicht herum. Aber ich möchte, dass wir immer auch danach schauen, was wir aufbauen. Ich wünsche mir ein stärkeres Aufbäumen gegen das statistische Schreckensszenario. Die Erprobungsräume und die Projekte der Jugendsynode entfalten breite belebende Wirkung.
epd: Wie sieht die rheinische Kirche nach einer achtjährigen Amtszeit von Almut van Niekerk aus?
Van Niekerk: Ich würde mich freuen, wenn Gemeinden noch stärker auf Kooperation setzen und entdecken, wie schön es ist, etwas zusammen zu tun. Das hat etwas mit Loslassen zu tun. Das gilt genauso für die landeskirchliche Ebene. Das Wichtigste ist, dass wir präsent sind mit Spiritualität, Seelsorge, Musik, Diakonie und Bildung. Ich setze mich dafür ein, dass wir bekannt und relevant sind.
epd: Wie politisch darf und soll Kirche sein?
Van Niekerk: Wenn Politik definiert wird als gesellschaftliche Verantwortung, dann kann Kirche nicht unpolitisch sein - ohne dass wir zu jedem politischen Ereignis etwas sagen müssten. Mir wäre wichtig, den Schulterschluss mit anderen Engagierten zu suchen, zum Beispiel mit Umweltverbänden, wenn es um die Bewahrung der Schöpfung geht. Es beschämt mich, dass wir mit unseren Möglichkeiten als Kirche bei weitem nicht so erfolgreich für den Klimaschutz getrommelt haben wie Greta Thunberg, die es geschafft hat, die Bewegung Fridays for Future zu initiieren. Dafür bin ich voller Bewunderung und sage: Wir machen mit.
epd: Wie verändert sich Kirche durch die Corona-Pandemie?
Van Niekerk: Wir nehmen den Veränderungsdruck, den wir ohnehin haben, positiv auf und werden in der Öffentlichkeit sichtbarer. Auch von der Politik werden wir stärker als ernstzunehmender Akteur wahrgenommen. Ich freue mich zudem über ein stärkeres kirchliches Selbstbewusstsein.
epd: Die Pandemie und die Maßnahmen zu ihrer Eindämmung ändern das Leben vieler Menschen. Was kann Kirche hier tun?
Van Niekerk: Multikomplexe Problemlagen nehmen zu - psychische Erkrankungen, Suchterkrankungen, Armutsrisiko. Hier ist unser Auftrag, Menschen in ihrer Würde zu schützen. Es steht uns gut an, etwas gegen die Versäulung der Hilfsmaßnahmen in den unterschiedlichen Institutionen zu unternehmen. Schule, Kindergarten und soziale Leistungen müssen stärker ineinandergreifen.
epd: Haben Sie Verständnis für Kritik an den Anti-Corona-Maßnahmen und Demos gegen die Auflagen?
Van Niekerk: Ich kann überhaupt nicht verstehen, wie man diese Pandemie leugnen und die Schutzmaßnahmen lächerlich machen kann. Differenzierte Kritik habe ich noch nicht wahrgenommen, stattdessen sehe ich Menschen, die sich mit Leuten am politisch rechten Rand zusammentun.
epd: Zeigt sich hier eine gesellschaftliche Spaltung?
Van Niekerk: Ich nehme durchaus eine Spaltung wahr. Es gibt eine Mehrheit von friedlich denkenden Menschen, die leider schweigt, während sich eine Minderheit, die zu Extremen neigt, auf der Straße und in sozialen Netzen Gehör verschafft. Als Kirche sind wir prädestiniert, mit allen zu reden und zu vermitteln, ohne uns vereinnahmen zu lassen.
epd: Wie halten Sie es mit der AfD?
Van Niekerk: In der AfD sind für mich keine Menschen zu finden, deren Gedankengut ich teile. Trotzdem würde ich mit Anhängern dieser Partei reden - ehrlich gesagt aber ungern, wenn auf großer Bühne jegliche Dialogbereitschaft fehlt.
epd: Flucht und Migration sind ein kirchliches Kernthema. Wie beurteilen Sie die aktuelle Flüchtlingspolitik in Deutschland und Europa?
Van Niekerk: Sie treibt mir die Tränen in die Augen. Wenn ich sehe, was an den EU-Außengrenzen passiert, kann ich nicht nachvollziehen, warum die Bundesregierung den Kommunen die Aufnahme von Flüchtlingen verbietet. Wenn ich auf die Flüchtlingslager in Nordafrika und an den europäischen Grenzen schaue, bin ich beschämt und wütend über die politische Linie, die vor lauter Angst vor einem vermeintlichen «Pull-Effekt» die Menschen verrecken lässt.
epd: Was kann die evangelische Kirche über die Entsendung eines eigenen Rettungsschiffs hinaus tun?
Van Niekerk: Wir müssen lauter werden, auch wenn es nicht von allen Seiten Beifall gibt - die deutsche Gesellschaft ist ja in der Beurteilung der Flüchtlingspolitik gespalten. Wir müssen die positiven Geschichten von geflüchteten Menschen, die hier ihren Uni-Abschluss machen oder uns in der Pflege unterstützen, noch stärker verbreiten, damit Flucht ein Gesicht bekommt.
epd: Wie sehen Sie die Zukunft des Kirchenasyls?
Van Niekerk: Das Thema spielt wegen der sinkenden Flüchtlingszahlen derzeit keine große Rolle. Ich bin aber dafür, das Kirchenasyl als eine Möglichkeit zu erhalten, dass der Staat sein Handeln überprüfen kann. Kirchenasyl ist kein kirchliches Privileg, sondern ein Dienst an unserer Gesellschaft.