KNA: Herr Erzbischof, was war aus Ihrer Sicht das Wichtigste an der Versammlung in Prag?
Erzbischof Gintaras Grusas (Präsident des Rats der Bischofskonferenzen Europas und Erzbischof von Vilnius): Es war die Erfahrung der Synodalität, dass wir uns austauschen konnten. Laien, Ordensleute, Bischöfe - dass wir einander zuhören konnten. Dieses Zuhören, sowohl im Plenum als auch in den Kleingruppen, hat uns im gegenseitigen Verstehen vorangebracht. Wir haben auch die Verletzungen deutlicher gesehen, die viele Menschen haben. Das sind sehr unterschiedliche Wunden in den unterschiedlichen Ländern, aber es sind immer Wunden am Leib Christi, die Wunden in seiner Kirche. Auch wenn die Erfahrungen und die Meinungen, wie wir damit umgehen sollen, verschieden sind, hilft uns doch das gemeinsame Hören, zusammen voranzukommen und zu wachsen. Und diese Erfahrung ist wichtiger als jeder Text, der herauskommen kann. Es hilft uns auch für unsere nächsten Schritte auf diesem Weg, also bei den Versammlungen in Rom im Oktober und wenn wir wieder in unsere Gemeinden zurückkehren.
KNA: Zu den unterschiedlichen Meinungen gehörte ein gewisser Graben zwischen West- und Osteuropa, der auch die Visionen von der Erneuerung der Kirche betrifft. Konnte dieser Graben durch den Austausch in Prag überbrückt werden?
Grusas: Jemand hat klugerweise darauf hingewiesen, dass es solche Unterschiede nicht nur zwischen Ost und West gibt, sondern auch zwischen Nord und Süd. Es gibt unterschiedliche Gruppen von Erfahrungen, und ich glaube nicht, dass es hier darum ging, diese Unterschiede aufzulösen. Es ging ums Mitteilen, Zuhören und Verstehen. Einer der Bischöfe sagte: Wir haben vorher viel übereinander geredet und Briefe geschrieben, aber jetzt reden wir endlich mal miteinander.
KNA: Vor dem Treffen in Prag war zu hören und zu lesen, es drohe eine Spaltung, ein Schisma, wegen der Reformvorschläge aus Deutschland. Ist diese Gefahr jetzt überwunden?
Grusas: Ich habe in keiner Äußerung den Wunsch gehört, die Kirche zu verlassen. Sehr viel mehr habe ich den Wunsch gehört, Kirche zu sein. Aber es ist wohl so, dass es unterschiedliche Wege geben soll, Kirche zu sein, darüber sprechen wir. Und dieser Dialog wird uns helfen, einander besser zu verstehen und Wege zu suchen, wie Einheit in Verschiedenheit möglich sein kann, und, das ist eines der synodalen Elemente, die Gemeinschaft unseres Auftrags zu verwirklichen. Deshalb ist es fundamental wichtig, dass wir aufeinander und auf das Wort Gottes hören. Das hilft uns, diese Gemeinschaft zu leben.
KNA: Wie erklären Sie den Menschen zu Hause in Vilnius, was das bedeutet, eine synodale Kirche zu sein?
Grusas: Ich erkläre, dass Synodalität ein ganz altes Prinzip in der Kirche ist, und dass wir das jetzt wieder neu lernen müssen. Und deshalb geht es nicht um eine Veränderung der kirchlichen Lehre, sondern um eine veränderte Art, wie wir als Kirche leben. Und dass Papst Franziskus uns auf diesen langen Weg geschickt hat, damit wir es wirklich lernen und anwenden, nicht nur oberflächlich. Das wird dann auch den Stil unserer Mission verändern.
KNA: Hier in Prag haben an vier von sechs Tagen die Laien einen wichtigen Input gegeben. Sollte das nicht auch bei der Synodenversammlung in Rom möglich sein?
Grusas: Ich glaube, dass wir uns in diese Richtung bewegen. Wir entwickeln gerade an mehreren Stellen neue Strukturen, die uns dabei helfen, eine synodale Kirche zu sein. Der Papst hat bereits das zuständige Sekretariat in Rom umbenannt. Es ist jetzt nicht mehr für die Bischofssynode zuständig, sondern ganz einfach für die Synode. Wir haben in den vergangenen Jahrzehnten viele Veränderungen in den Strukturen und auch im Kirchenrecht gesehen, das ist nicht einfach statisch, das verändert sich immer wieder. Wird die Versammlung im Oktober eine völlig andere Synode sein als wir sie bis dahin kannten? Wahrscheinlich nicht. Werden wir über solche Veränderungen reden? Wahrscheinlich ja.
Das Interview führte Ludwig Ring-Eifel.