KNA: Herr Professor von Braun, Sie leiten am Zentrum für Entwicklungsforschung in Bonn die Abteilung für ökonomischen und technologischen Wandel, Sie sind Vizepräsident der Welthungerhilfe und nun auch noch Präsident der Päpstlichen Akademie für die Wissenschaften. Was reizt Sie an diesem Zusatzjob?
Joachim von Braun (Präsident der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften): Das ist eine besondere Akademie, die sehr international und hochkarätig besetzt ist und sich wissenschaftlich mit sehr relevanten Menschheitsfragen beschäftigt. Dies reizt mich - und die Berufung durch Papst Franziskus ist eine Ehre.
KNA: Welchen Einfluss räumen Sie der Kirche bei den Themen Entwicklung und Hungerbekämpfung ein?
von Braun: Das soziale, bildungs- und gesundheitspolitische Engagement der Kirchen ist aus der Entwicklungszusammenarbeit nicht wegzudenken. Bei diesen Themen spielen die Kirchen in allen Erdteilen eine zentrale Rolle. Gerade in Afrika haben die Kirchen sehr viel Bodenhaftung.
KNA: Die Zahl stimmt pessimistisch: Fast 800 Millionen Menschen haben zu wenig Essen. Das sind zwar laut Welthunger-Index 70 Millionen weniger als drei Jahre zuvor. Aber das Ziel der Weltgemeinschaft, bis 2030 ein Ende des Hungers zu erreichen, scheint weit weg.
von Braun: Die Fortschritte in der Hungerbekämpfung sind beachtlich, auch in vielen Ländern Afrikas wie Äthiopien und Ghana, die den Hunger seit dem Jahr 2000 um 40 bis 50 Prozent verringert haben. Zugleich verschlechtert sich aber die Situation dort, wo Krieg, Dürre und Folgen des Klimawandels zusammenkommen - etwa im Nordosten von Nigeria und Teilen Ostafrikas. Wir brauchen neue Ansätze, um akuten Krisen vorzubeugen und dann, wenn sie doch ausbrechen, effizient zu helfen. Dazu gehört die Unterernährung von Kindern auf der Flucht zu bekämpfen.
KNA: Worin sehen Sie die Hauptursachen für Hunger?
von Braun: Die Medien konzentrieren sich oft auf die ungefähr 200 Millionen Hungernden in akuten Krisengebieten. Wir dürfen darüber aber nicht die viel größere Zahl der Notleidenden vergessen, die aufgrund von absoluter Armut, Ungerechtigkeit, Chancenlosigkeit und Diskriminierung hungern.
KNA: Was müssen die Industrienationen im Kampf gegen den Hunger tun?
von Braun: Im Kampf gegen Hunger spielen Jobs und Einkommenschancen eine ganz wichtige Rolle. Deshalb brauchen Entwicklungsländer Zugang zu Märkten, zu freiem und fairen Handel. Wichtig sind auch Investitionen aus dem Privatsektor, der eine Risikoabsicherung benötigt. Das Entscheidende ist, die Fähigkeiten der Entwicklungsländer, besonders die der Kleinbauern und Frauen dort, durch Bildung, Gesundheitsfürsorge und Zugang zu Produktionsmitteln zu fördern.
KNA: Deutschland hat sich zum Ziel gesetzt, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungshilfe auszugeben. Reicht das aus?
von Braun: Nein. Wir müssen viel tiefer in die Taschen greifen. Wir sollten bedenken, was es gekostet hat, die ehemalige DDR wirtschafts- und sozialpolitisch zu sanieren.
KNA: Welche Rolle spielen die armen Länder selbst für ihre Entwicklung?
von Braun: Sie spielen die entscheidende Rolle. Wo es große Fortschritte in der Hungerbekämpfung gegeben hat, beruhten diese primär auf eigenen Anstrengungen: zum Beispiel weniger Korruption, hohe Priorität für Investitionen in Infrastruktur, Landwirtschaft, Ernährung. Zu den Positivbeispielen in Afrika zählen Senegal, Ghana, Äthiopien und Ruanda.
KNA: Experten sehen auch im Bevölkerungswachstum einen wesentlichen Grund für Hunger...
von Braun: Die Geburtenraten in den Entwicklungsländern sind inzwischen sehr unterschiedlich. Bangladesch etwa zeigt, dass sich durch Bildung von Mädchen das Bevölkerungswachstum stark reduzieren ließ. Ein Gegenbeispiel in der Region ist Pakistan. Auch in Afrika ist das Bild sehr gemischt. Aber insgesamt wird dort nach UN-Prognosen die Bevölkerung von 1,3 auf 2 Milliarden wachsen. Zur Reduzierung des Bevölkerungswachstums sind Gesundheitsvorsorge für Frauen und Schulbildung für Mädchen die entscheidenden Faktoren.
KNA: Inwieweit müssen die Menschen in den wohlhabenden Ländern ihren Lebensstil ändern?
von Braun: Mit dem Konsumniveau in der westlichen Welt lässt sich nachhaltige Entwicklung nicht bewerkstelligen. Dass sich etwas ändern muss, bestreitet niemand. Es geht um das Wie.
KNA: Was konkret muss sich ändern?
von Braun: Durch unseren Konsum produzieren wir in Deutschland zu viel CO2. Zudem verbrauchen wir zu viel Wasser aus wasserknappen Ländern - nicht nur durch eingeführtes Soja, sondern auch durch importierte Produkte, aus denen wir Maschinen erzeugen. Die Elektronik- und Batterieindustrie verwendet zu viel seltene Erden, die etwa im Kongo unter menschenunwürdigen Bedingungen wie Kinderarbeit und hochriskantem Bergbau gewonnen werden.
KNA: Bauern produzieren nicht nur Lebensmittel, sondern auch Energie. Ein Problem?
von Braun: Gegenwärtig sehe ich in der Produktion von Bioenergie keine Bedrohung für die Welternährung. Wenn aber wegen Lebensmittelknappheit die derzeit niedrigen Grundnahrungsmittelpreise gelegentlich mal wieder drastisch steigen sollten, ist eine flexible Anpassung fällig. In solchen Situationen muss gegebenenfalls die Herstellung von Biodiesel und -ethanol eingestellt werden.
KNA: Immer wieder gibt es Meldungen, dass Lebensmittel verschwendet werden.
von Braun: Zum Beispiel Brot wird zu wenig wertgeschätzt. In Deutschland gelangen rund 15 Prozent der Backwaren in den Abfall. Es gibt aber gute Ansätze, das zu korrigieren - etwa durch Aufklärung. Übrigens: In Entwicklungs- und Schwellenländern ist der Lebensmittelverlust ähnlich groß. Dort liegt es aber an mangelhafter Lagerhaltung und Schädlingen auf dem Feld, nicht an Verschwendung.
KNA: Kann der Welternährungstag am 16. Oktober etwas bewegen?
von Braun: Durchaus. Die Welthungerhilfe stellt zum Beispiel um diese Zeit den Welternährungs-Index vor. Das Medienecho ist groß in den Entwicklungsländern. Staatschefs in Entwicklungsländern weltweit schauen genau auf die Zahlen - und es stört sie, wenn ihre Länder als Hunger-Regionen gelten. Auf dieser Liste der schlechten Performer will niemand sein und das regt zu besserem politischen Handeln an.
Das Gespräch führte Andreas Otto.