Präsidentschaftswahlen stellen Brasilien vor Zerreißprobe

Historischer Schwenk nach rechts erwartet

Ein tief gespaltenes Brasilien wählt an diesem Sonntag einen neuen Präsidenten. Wirtschaftskrisen und Korruptionsskandale haben radikale Diskurse salonfähig gemacht; in Sozialen Netzwerken überbieten sich die Hasskampagnen.

 (DR)

Brasilien steht vor einem historischen Schwenk nach rechts. Mit Jair Messias Bolsonaro (63) geht ein ultra-konservativer Ex-Militär als Favorit in die erste Runde der Präsidentschaftswahlen am Sonntag. In die Stichwahl am 28. Oktober dürfte ihm Fernando Haddad (55) von der linken Arbeiterpartei PT (Partido dos Trabalhadores) folgen, die bereits von 2003 bis 2016 regierte. Beherrscht wurde der turbulente Wahlkampf um die 147 Millionen Stimmberechtigten durch aggressiv geführte Kampagnen in Sozialen Netzwerken.

Bolsonaro ist der aktuelle Shootingstar der brasilianischen Politik. Der Hinterbänkler, der seit fast drei Jahrzehnten im Parlament sitzt, war bis vor zwei Jahren nur durch seine Verbalattacken und Hetzkampagnen gegen Minderheiten und die Verehrung für die Militärdiktatur (1964-1985) aufgefallen.

Sein Programm ist die politische Vernichtung der Linken

Doch nachdem die Arbeiterpartei PT inmitten einer tiefen Wirtschaftskrise und aufgeflogener Korruptionsskandale 2016 die Macht verlor, setzte sich der ehemalige Fallschirmjäger an die Spitze der Anti-PT-Bewegung. Sein Programm ist die politische Vernichtung der Linken. Brasiliens Gesellschaft will er angesichts ausufernder Gewalt militarisieren und damit wieder zu Recht und Ordnung führen.

Polizisten sollen Abschussprämien für Verbrecher bekommen, Privatpersonen soll der Waffenbesitz zum Selbstschutz erlaubt werden. Militärs sollen sowohl die Leitung öffentlicher Schulen wie auch strategische Ministerposten übernehmen. Zudem spricht sich Bolsonaro gegen gleichgeschlechtliche Ehen und Abtreibungen aus. Obwohl er selbst bereits dreimal verheiratet war, spricht er von traditionellen Familienwerten. Damit punktet der Katholik auch stark unter den konservativen evangelikalen Wählern.

Anfang September war Bolsonaro während einer Wahlkampfveranstaltung von einem Messer-Attentäter niedergestochen worden. Seitdem kann er zwar keine öffentlichen Auftritte abhalten; seiner Beliebtheit hat der Angriff offenbar gutgetan. So legte er zuletzt von rund 20 auf mehr als 30 Prozent in Umfragen zu. Hinter ihm liegt der ehemalige Bildungsminister und Bürgermeister von Sao Paulo, Fernando Haddad.

Kandidat der linken Arbeiterpartei verspricht Rückkehr zur Sozialpolitik

Ursprünglich für den Vizepräsidentenposten unter Ex-Präsident Luiz Inacio Lula da Silva (2003-2010) vorgesehen, übernahm Haddad Mitte September die Kandidatur des von der Justiz gesperrten Lula. Im Januar hatte ein Gericht Lula zu mehr als zwölf Jahren Haft wegen Korruption und Geldwäsche verurteilt, seit April sitzt der ehemalige Volksheld im Gefängnis. Trotzdem hielt er bis Anfang September an seiner erneuten Kandidatur fest.

Umfragen prognostizierten Lula zwischenzeitlich einen haushohen Sieg. Denn während seiner Regierung waren Millionen Brasilianer sozial aufgestiegen. Am 1. September untersagte die Justiz schließlich Lulas Kandidatur – für ihn und seine Arbeiterpartei "ein Komplott".

Haddad verspricht eine Rückkehr zu der Sozialpolitik unter Lula. Zudem will er in den Ausbau des öffentlichen Bildungssystems investieren. Banken und Spitzenverdiener sollen dafür stärker zur Kasse gebeten werden. Unternehmer und die Finanzmärkte tendieren deshalb eher zu Bolsonaro, der auf den wirtschaftsfreundlichen Finanzguru Paulo Guedes setzt. Anfang der Woche quittierten die Finanzmärkte Bolsonaros Umfragehoch dann auch mit euphorischen Kurssprüngen.

Katholische Kirche in Brasilien gibt keine Wahlempfehlung

Während sich evangelikale Kirchen eindeutig für Bolsonaro positionieren, gibt die katholische Kirche Brasiliens keine Wahlempfehlung. Sie forderte jedoch die Wähler auf, Kandidaten auf ihre Fürsorge gegenüber der Allgemeinheit und ihrer Verpflichtung zu sozialen Anliegen hin zu überprüfen. Bei Umfragen gaben 21 Prozent der katholischen Wähler an, links wählen zu wollen; bei den evangelikalen waren dies nur 6 Prozent.

Obwohl Brasilien zwischen 2015 und 2017 eine historisch einmalige ökonomische Talfahrt erlebte, Millionen Bürger arbeitslos sind und die öffentlichen Kassen vor dem Kollaps stehen, kommt das Thema Wirtschaft im Wahlkampf überraschend wenig vor. Vielmehr sind die Wähler besorgt über die ausufernde Korruption und Gewalt. In Sozialen Netzwerken geben sich linke und rechte Gruppen gegenseitig die Schuld an der Misere.

Die teils absurden Debatten machen selbst vor der deutschen Geschichte nicht Halt. So behaupten rechte Gruppen, dass Hitlers NSDAP in Wahrheit eine linke Partei gewesen sei. Brasiliens Linke plane zudem, das Land in eine kommunistische Diktatur nach kubanischem Vorbild zu verwandeln. Zuletzt stellte Bolsonaro klar, er werde eine Wahlniederlage nicht akzeptieren. Einem Wahlsieg der linken PT werde das Militär nicht untätig zuschauen, orakelte er.

Von Thomas Milz


Vor der Wahl in Brasilien: Protest gegen Bolsonaro / © Pablo Albarenga (dpa)
Vor der Wahl in Brasilien: Protest gegen Bolsonaro / © Pablo Albarenga ( dpa )

Menschen protestieren gegen Bolsonaro / © Pablo Albarenga (dpa)
Menschen protestieren gegen Bolsonaro / © Pablo Albarenga ( dpa )

Brasiliens Ex-Präsident Luiz Inacio Lula da Silva / © Paulo Lopes (dpa)
Brasiliens Ex-Präsident Luiz Inacio Lula da Silva / © Paulo Lopes ( dpa )

Fernando Haddad von der Kandidat der linken Arbeiterpartei (PT) in Brasilien / © Alberto Veiga (epd)
Fernando Haddad von der Kandidat der linken Arbeiterpartei (PT) in Brasilien / © Alberto Veiga ( epd )
Quelle:
KNA