Erst Michael Triegel 2015, nun Tony Cragg: Wieder hat sich ein Künstler von internationalem Rang erstmals in der Glasmalerei ausprobiert. Und wieder für eine kleine Kirche in Sachsen-Anhalt. Diesmal hat die evangelische Dorfkirche Sankt Christopherus Großbadegast bei Köthen das große Los gezogen: Ihre neuen Fenster stammen vom britische Bildhauer Cragg, 2009 bis 2013 Rektor der traditionsreichen Kunstakademie Düsseldorf.
An diesen Samstag werden die jetzt eingebauten Chorfenster der Öffentlichkeit vorgestellt. Zur Einweihung kommen außer Cragg auch Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) und Anhalts Kirchenpräsident Joachim Liebig.
Cragg hat die teils großformatigen Fenster in leuchtenden Blau- und Gelbtönen abstrakt gestaltet, wobei mathematische Formeln und Symbole Impulsgeber sind. "Damit treten Wissenschaft und Religion in einen spannenden Diskurs", erläuterte der in Liverpool geborene Künstler, der bislang vor allem für seine meterhohen, verdrehten Skulpturen aus Holz, Bronze oder glänzendem Edelstahl bekannt ist. Zu seinen Werken zählen etwa "Mixed Feelings" (2012) in Amsterdam und "Mean Average" (2014) auf dem Bonner Remigiusplatz. Die Kirchenfenster sind für Cragg eine Premiere.
Premiere auch für Triegel
Auch für den Leipziger Maler Michael Triegel, der mit seinem altmeisterliche Renaissance-Stil internationales Renommee erwarb, war es eine ganz neue Form des Kunstschaffens, als er vor vier Jahren die Fenster für die katholische Schlosskirche in Köthen gestaltete. Er nannte es damals eine "große Herausforderung" und "zutiefst beglückend, denn ich konnte lernen, dass durch gemeinsames Mühen um ein Ergebnis etwas erreicht werden kann, womit der Einzelne nicht rechnen konnte".
Die Crux bei der Glasmalerei ist, dass der Künstler das Werk nicht allein, sondern nur in intensiver Kooperation mit einer Glaswerkstatt umsetzen kann. Wie schon Triegel vertraut auch Cragg seine Entwürfe der angesehenen Glasmalerei Peters aus Paderborn an.
Doch damit nicht genug: Cragg wird demnächst auch noch neue Fenster für die 40 Kilometer entfernte Dorfkirche in Garitz bei Zerbst entwerfen. Es ist Teil ihres Projekts "Lichtungen", bei dem international bekannte Künstler Glasmalereien für kleine, entlegene mittelalterliche Dorfkirchen erstellen. Die Region südlich von Magdeburg entwickelt sich damit zu einer Art Hotspot und Laboratorium für moderne Glasmalerei in Kirchen.
Seit 2012 bietet das Projekt Raum für traditionelle und experimentelle Techniken der Glasmalkunst. Einige der Arbeiten waren bereits als Exponate in den jüngsten beiden großen Ausstellungen zur deutschen Glasmalerei der Gegenwart zu sehen: 2013 im Centre International du Vitrail im französischen Chartres und 2014 im Naumburger Dom.
Ensemble zeitgenössischer Glasmalerei
Zwischen Elbe und Fläming entsteht so ein bemerkenswertes Ensemble zeitgenössischer Glasmalerei. Insgesamt dreizehn Kirchen umfasst das Projekt. Ziel sei eine Belebung der regionalen Kirchenlandschaft durch neue Kunst, so die Landeskirche: "Im Vordergrund steht dabei die ungebrochene liturgische 'Brauchbarkeit' unserer alten Kirchen, die auch Orte kultureller Identifikation mit Land und Leuten sind. Sie sollen für Gegenwart und Zukunft wiederbelebt werden."
Anhalts Kirchenpräsident Joachim Liebig ist sich sicher: "Wenn Menschen unserer Zeit sich mit Kirchengebäuden künstlerisch auseinandersetzen, dann rücken sie Kirche und die Inhalte, für die sie steht, wieder neu in den Fokus." Die Sorge, dass die Gotteshäuser zu reinen Museen mutieren, teilt er nicht: "Große Kunst öffnet in der Freiheit des Geistes die Begegnung mit dem Evangelium."
Gleichwohl verfolgt "Lichtungen" auch ein touristisches Konzept. So ist das Projekt in Großbadegast ein Beitrag der Evangelischen Landeskirche zum sachsen-anhaltischen Themenjahr "Land der Moderne" und zum 100-jährigen Jubiläum des Bauhauses.