Luxemburg ermöglicht, was in Deutschland bislang nur Wunschtraum von Klimaaktivisten oder in Modellversuchen angedacht ist: Seit Anfang März kann jeder kostenlos mit Bus, Tram oder Regionalzügen fahren. Einsteigen, los geht es - vorausgesetzt, der Reisende kann einen gültigen Ausweis vorlegen.
Einzig eine Fahrt in der ersten Klasse muss weiterhin bezahlt werden. Kontrolleure nehmen künftig andere Aufgaben wahr, sollen stärker beraten und für die Sicherheit in Zügen und Bussen sorgen.
Prestigeprojekt
Ein Prestigeprojekt, auf das Luxemburg mächtig stolz ist: Ein großer Tag, "wie die Entdeckung der Schwerkraft", "wie die Erfindung der Straße", "wie der erste Schritt auf dem Mond", "wie die erste Weltreise", heißt es auf der eigens eingerichteten Internetseite des Verkehrsministeriums. Die Idee: Wer den Bus oder die Bahn nimmt, ist nicht nur klimafreundlicher unterwegs, sondern lässt das eigene Auto zu Hause stehen und verstopft die ohnehin überlasteten Straßen und Parkmöglichkeiten in der Hauptstadt nicht noch mehr.
Denn wer sich aktuell mit dem Auto auf den Weg nach Luxemburg Stadt macht, steht zu den Stoßzeiten garantiert im Stau. Doch genau hier liegt ein Problem: Das Auto gilt in Luxemburg als Statussymbol.
Betrachtet man die vorhandenen Autos im Verhältnis zu den Einwohnern, belegt Luxemburg laut EU-Statistikbehörde Eurostat europaweit den ersten Platz: Auf 1.000 Einwohner kommen 670 Pkw. Zum Vergleich: Deutschland rangiert mit 561 PKW pro 1.000 Einwohnern auf Platz sechs, dazwischen Polen, Zypern, Malta und Finnland.
Eine weitere Herausforderung: Luxemburg Stadt ist das wirtschaftliche und kulturelle Zentrum des Landes. Hier arbeitet nicht nur ein großer Teil der Luxemburger, auch rund 200.000 Menschen aus dem Ausland pendeln zum Arbeiten ins Land. Entsprechend voll sind die Straßen.
Und: Für die Hauptstädter mag der kostenlose Transport Vorteile bringen. Wer in einer abgelegeneren Stadt wohnt, für den spielt jedoch auch die Zeit eine Rolle: Der Bus fährt etwa 50 Minuten von Luxemburg Hauptbahnhof bis zum Grenzort Schengen oder nach Differdingen im Westen und etwa eine Stunde nach Echternach in den Nordosten - Strecken, die mit dem Auto, zumindest in der Theorie, in etwa 30 Minuten zu erreichen sind. Dorthin, wo Züge fahren, geht es deutlich schneller.
Eine wirkliche Verkehrswende?
Ob der kostenlose Nahverkehr also wirklich eine Verkehrswende bewirkt? "Klares Nein", sagt die Sprecherin des Verkehrsministeriums, Dany Frank. Bus und Bahn im Nachbarland waren auch bislang recht günstig. Ein Tagesticket für beliebig viele Fahrten durch das ganze Land kostete 4 Euro - ein Preis, der in Deutschland je nach Region auch für drei Stationen im Regionalexpress oder eine Busfahrt außerhalb des Stadtgebiets anfällt.
Luxemburgs Verkehrsminister Francois Bausch erklärte daher kürzlich: "Wir müssen das System ändern. Das Ziel muss sein, Menschen zu bewegen, nicht Autos." Der kostenlose Verkehr soll daher nur ein Aspekt der Strategie sein. Geplant ist auch, das öffentliche Netz bis 2023 massiv auszubauen und kleine Orte ab 20 Einwohnern anzubinden.
Auch soll das Straßenbahnnetz von derzeit 6 auf 16 Kilometer erweitert werden und das Bankenviertel mit Innenstadt, Bahnhof und Flughafen verbinden. Investiert wird zudem in grenzüberschreitende Verbindungen und die vollständige Umstellung auf Elektrobusse.
Die Regierung sieht den Schritt dennoch auch als "soziale Aktion", die weniger gut betuchten Familien zugute kommen soll. Rund 41 Millionen Euro Einnahmen aus Ticketverkäufen fallen laut Verkehrsministerium künftig weg - was rund acht Prozent der Gesamtkosten von 500 Millionen Euro für öffentlichen Transport ausmacht. Der Betrag wird mit Steuern ausgeglichen.
Die Verkehrswende werde nur funktionieren, wenn der öffentliche Verkehr "qualitativ erste Sahne" sei, sagt Sprecherin Frank. Das erklärte Ziel: "In ein paar Jahren wollen wir Vorreiter für einen attraktiven und pünktlichen öffentlichen Transport sein." Kanada oder Italien zeigten sich bereits interessiert. Bis dahin feiern die Luxemburger ihr Vorhaben zum Start mit Konzerten und Livemusik an den Bahnhöfen, in Bahnen und Tram unter dem Hashtag #freemobility.