Primas kommentiert Missbrauchsdebatte in Polen

"Wir brauchen eine neue Mentalität"

In der Debatte um Missbrauch in der katholischen Kirche in Polen braucht es nach Ansicht von Erzbischof Wojciech Polak einen Gesinnungswandel. Nötig sei "eine neue Mentalität", sagte der Primas der polnischen Bischöfe.

Schatten eines Kreuzes / © Harald Oppitz (KNA)
Schatten eines Kreuzes / © Harald Oppitz ( KNA )

"Wir haben in der Kirche eine starke, lähmende Kultur umfassender Diskretion", führte der Erzbischof von Gnesen, Wojciech Polak, im Gespräch mit der "Süddeutschen Zeitung" aus. "Zudem wuchsen wir im repressiven kommunistischen System auf, als die Kirche etliche Dinge geheim hielt. Auch nach 2001 hatten viele Bischöfe die alte Angst davor, etwas aufzudecken."

Mindestens 382 Missbrauchsfälle in 28 Jahren

Die katholische Kirche in Polen machte Mitte März in einem siebenseitigen Bericht erstmals genauere Angaben zum Ausmaß der sexualisierten Gewalt von Geistlichen gegen Kinder und Jugendliche. Auf Basis von kirchlichen Akten zwischen Januar 1990 und Juni 2018 wurden mutmaßliche 382 Missbrauchstäter - Priester oder Ordensmänner - identifiziert.

Wojciech Polak brachte den Fall ins Rollen / © Grzegorz Boguszewski (KNA)
Wojciech Polak brachte den Fall ins Rollen / © Grzegorz Boguszewski ( KNA )

Er sei überzeugt, dass man bislang nicht alle Opfer erfasst habe, sagte Polak. "Auch im Polnischen gibt es die Formulierung von der Spitze des Eisberges. Aber wie groß der Teil unter Wasser ist, ob es Tausende Opfer sein werden - wir wissen es nicht." 

Bei den 382 Missbrauchsfällen handle es sich um diejenigen, die von 1990 bis 2018 überhaupt gemeldet worden seien.

Auf die Frage, ob die Kirche noch einen ausführlicheren Bericht vorlegen werde, antwortete der Erzbischof, bisher habe man darüber nicht beraten. 

Erzbischof Charles Scicluna / © Paul Haring (KNA)
Erzbischof Charles Scicluna / © Paul Haring ( KNA )

"Ein Schlüsselmoment wird sicher der Besuch von Erzbischof Charles Scicluna, der im Vatikan für Missbrauchsbekämpfung zuständige Vize-Chef der Glaubenskongregation." 

Scicluna will Mitte Juni zum Treffen der Polnischen Bischofskonferenz in das Land reisen.

Unterschiediche Meinungen zur Missbrauchsaufarbeitung

Mit Blick auf den des Missbrauchs beschuldigten legendären Priester der Solidarnosc-Bewegung Henryk Jankowski sprach sich der polnische Primas für eine Kommission aus, um den Fall zu untersuchen. Darin sollten Vertreter aus Kirche, Politik und Wissenschaft sitzen. Jankowski verstarb 2010.

Unter den polnischen Bischöfen gibt es unterschiedliche Auffassungen über den Kurs in der Aufarbeitung von Missbrauch. Im Herbst 2018 hatte der Kinofilm "Klerus" den Druck auf die Kirche erhöht. 

Er prangerte den sexuellen Kindesmissbrauch durch Priester sowie dessen Vertuschung an. Mehr als fünf Millionen Zuschauer machten ihn zum meistgesehenen Kinofilm in Polen seit 2000.

Missbrauchsfälle in Polen

In den vergangenen Monaten hatte die Bischofskonferenz die Missbrauchsfälle bei den Diözesen und Ordensgemeinschaften abgefragt. Das kirchliche Statistikinstitut und das von der Bischofskonferenz in Krakau gegründete Kinderschutzzentrum werteten kirchliche Akte, die von Januar 1990 bis Juni 2018 angelegt wurden, aus. Die Auswertung ergab:

284 Priester und 98 Ordensmänner sollen Minderjährige missbraucht haben

Von den 625 Opfern seien 345 unter 15 Jahre alt gewesen.

58,4 Prozent aller Opfer sind den Angaben zufolge männlich, 41,6 Prozent weiblich.

Symbolbild Missbrauch / © TetianaDov (shutterstock)
Quelle:
KNA