Historiker untersucht Kirchenbindung in Köln während der Weimarer Zeit

Wie Kirche in Köln an Bedeutung verlor

In der Weimarer Zeit nahm die Zahl der Konfessionslosen in Köln rasch zu. Historiker Christoph Nonn untersucht in seinem Buch "Köln in der Weimarer Republik" auch die Entwicklung der katholischen Kirche und findet Parallelen zu heute.

Autor/in:
Johannes Schröer
Kirchbesucher in Köln in der Weimarer Republik / © Archiv Greven Verlag (Greven)
Kirchbesucher in Köln in der Weimarer Republik / © Archiv Greven Verlag ( Greven )

DOMRADIO.DE: Während Ihrer Arbeit an dem Buch über Köln in der Weimarer Republik hat sich die aktuelle politische Situation in Deutschland durch radikale Parteien zunehmend aufgeladen. Haben Sie sich manchmal heute wie in der Weimarer Republik gefühlt?

Professor Christoph Nonn (Professor für neueste Geschichte an der Heinrich-Heine- Universität in Düsseldorf: Ja, manchmal schon. Es ist ein bisschen gruselig, weil das im Jahr 2020, als ich mit der Arbeit an dem Buch angefangen habe, so noch nicht abzusehen war. Manches war schon ähnlich, aber vieles ist dann wesentlich ähnlicher geworden, gerade  in den letzten Wochen, als die Ampel-Koalition auseinandergebrochen ist, die vielleicht nicht hätte auseinanderbrechen müssen. Da fühlt man sich dann schon an 1930 erinnert. Das war sozusagen der Anfang vom Ende der Weimarer Republik, wo das ganz ähnlich gewesen ist. 

Professor Christoph Nonn / © Archiv Greven Verlag (Greven)
Professor Christoph Nonn / © Archiv Greven Verlag ( Greven )

DOMRADIO.DE: Sie fragen in Ihrem Buch auch, woran die Weimarer Republik gescheitert ist. Sie schreiben, der Grund sei gar nicht die Übermacht ihrer Gegner gewesen, obwohl die mit der Weltwirtschaftskrise rasant zunahmen. Woran ist denn Ihrer Ansicht nach die Weimarer Republik gescheitert? 

Nonn: Die ist natürlich auch an ihren Gegnern gescheitert. Dafür braucht es natürlich Gegner, damit ein Staat überhaupt scheitert. 

Aber der springende Punkt ist eigentlich die große Masse der indifferenten Staatsbürger, die ihre staatsbürgerliche Verpflichtung vielleicht falsch verstanden haben. Sie haben geglaubt, sie wählen Parteien, wie man im Ladengeschäft irgendetwas kauft. Und wenn es nicht passt, das heißt, wenn es den Ansprüchen nicht entspricht, gibt man es einfach zurück. Man hat ja Garantie darauf. Und dann wählt man eben eine andere Partei. 

Das Problem ist, dass man eben nicht alle Parteien nachher umtauschen kann. Die undemokratischen Parteien kann man nicht umtauschen und dann haben die Staatsbürger leider die undemokratischen Parteien gewählt. 

DOMRADIO.DE: Ist das heute auch eine Gefahr, dass sehr viele Menschen die Politik nicht als eine Verantwortung sehen, sondern als eine Ware sehen, die man konsumieren kann? 

Nonn: Ich denke, das ist definitiv so. Das Problem ist auch, dass viele Politiker - auch von demokratischen Parteien - sich darauf einlassen und dann ihre staatspolitische Verantwortung vielleicht nicht ernst nehmen, die ja auch darin besteht, dass man als Politiker eben Kompromisse machen muss. 

Man muss konstruktiv arbeiten, das heißt, man muss auch Abstriche machen von dem eigenen Programm. Und das ist eben das, was viele Bürger dann nicht verstehen. Die erwarten sozusagen, das ein Parteiprogramm zu 100 Prozent eingelöst wird. Das ist aber in der Regel gar nicht möglich. 

DOMRADIO.DE: Ist das ein Grundproblem der Demokratie, diese Versprechen, die man in Wahlkämpfen macht und dieses kurzfristige und nicht langfristige Denken. Wie machen Sie denn diese Einstellung der politisch Indifferenten in Ihrem Buch fest, die Politik als Konsumware sehen?

Nonn: Das kann man in den Quellen sehen. Da gibt es Autobiografien und dergleichen, wo es im Nachhinein heißt, die Weimarer Republik sei an den Parteiführern gescheitert, die hätten ihre Verantwortung nicht wahrgenommen. 

Und dann guckt man sich an, wie diese Leute, die die Autobiografien schreiben, selber politisch aktiv waren. Eigentlich waren sie es gar nicht oder sie haben es mal versucht und dann war es zu anstrengend. Und dann haben sie gedacht, dass sei ein sehr dickes Brett, das lasse ich lieber mal bleiben, da mache ich dann lieber nicht weiter. Das heißt, sie werden ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht, und das sieht man sehr häufig. 

In den frühen dreißiger Jahren geben auch die Quellen der Parteiarbeit wichtige Aufschlüsse. Da heißt es dann, wir würden ja gern, das Zentrum zum Beispiel würde ja gern mit der SPD koalieren und umgekehrt, aber wir haben so viel Druck von unten, von der Parteibasis, von unseren Wählern, und diesem Druck müssen wir irgendwie gerecht werden. Das heißt, die Parteien stehen sozusagen unter dem Druck der Wähler, die ihre Position als Staatsbürger nicht richtig verstehen. 

DOMRADIO.DE: Muss man da, wenn man darin Parallelen für heute sieht, auch Angst um unsere Demokratie haben? 

Nonn: Ja, die muss man natürlich haben. Ich hoffe, dass das besser ausgehen wird als in der Weimarer Republik. Aber sicher sein kann man da nie. Demokratien sind immer gefährdet, denn Demokratie ist eine Dauerbaustelle und wenn das staatsbürgerliche Verständnis nicht da ist, dann ist sie extrem gefährdet. 

DOMRADIO.DE: Ein umfangreiches Kapitel in Ihrem Buch widmen Sie der Religiosität in Köln und den Kirchen. In der Weimarer Republik nahm die Zahl der Konfessionslosen rasch zu, schreiben Sie. Kann man hier von einem Prozess der Säkularisierung in der Stadt sprechen? 

Nonn: Ja, das kann man natürlich. Wobei Säkularisierung ein sehr großes Wort ist. Das ist ein Prozess, der sehr lange dauert. Die Weimarer Republik existierte gerade einmal 14 Jahre lang, dann war sie schon wieder vorbei. Diese Zeit  war also Teil einer Säkularisierungsphase. Die hat so ungefähr von der Jahrhundertwende 1900 bis nach dem Zweiten Weltkrieg gedauert. Das ist schon eine Säkularisierungswelle, wobei die noch relativ harmlos war im Vergleich zu dem, was wir dann seit den späten 1960er Jahren erlebt haben. 

DOMRADIO.DE: Auch die Bedeutung der kirchlichen Rituale nahm ab, schreiben Sie. Ihre Beschreibungen der Religiosität in Köln in der Weimarer Republik klingen heute sehr aktuell. Vieles trifft heute auf die Kirchen auch zu. 

Nonn: Ja, auf alle Fälle. Die Zahl der Kirchenaustritte hat damals zugenommen, das ist vollkommen richtig, aber die hielt sich noch sehr in Grenzen. Über 95 % der Menschen in Köln waren bis 1933 Angehörige einer Religionsgemeinschaft. 

Was die Kirchen am meisten damals verunsichert hat, war die Zahl der Mischehen, also dass diese eigenen Milieus sich auflösten, dass Katholiken anfingen, Protestanten zu heiraten, Juden zu heiraten usw.. Da schrillten alle Alarmglocken. Und da hat man dann tatsächlich Vereine gegründet, damit die jungen Leute dann Katholiken aus ihrem Umfeld kennenlernen konnten, die sie heiraten konnten, damit Mischehen verhindert wurden. 

DOMRADIO.DE: Woran hat es gelegen? Was waren die Ursachen für diese Säkularisierungsprozesse?

Nonn: Die Milieus wurden durchlässiger und begannen sich aufzulösen und die Definitionsmacht von Milieueliten, also in diesem Fall vom Klerus, vom Erzbischof, hat schlicht und ergreifend abgenommen. Und weiter haben speziell Frauen immer weniger akzeptiert, dass diese religiösen Eliten ihnen zu sagen haben, wie sie ihr Leben leben sollen. 

DOMRADIO.DE: Sie schreiben in Ihrem Buch: "Das katholische Kirchenvolk teilte sich mehr und mehr in zwei Gruppen: eine Minderheit von eifrigen Kirchgängern, die oft sogar mehrfach in der Woche die Messe besuchten und eine wachsende Mehrheit derjenigen, die bei den Gottesdiensten durch Abwesenheit glänzten". Wirkte sich diese Einstellung auch politisch aus? 

Nonn: Die wirkte sich politisch verzögert aus. Die Zahl der Kirchgänger nimmt schneller ab als die Zahl derjenigen, die das Zentrum gewählt haben, was ja die katholische Partei gewesen ist. In den 20er Jahren war das Zentrum die stärkste Partei in Köln. Dann hat das Zentrum schrittweise an Anhängern verloren. Und das heißt, dass so religiös begründete Parteien sich dann auf Dauer auch nicht haben halten können. Das Zentrum ist ja nach 1945 noch mal neu gegründet worden, war dann aber nicht erfolgreich - im Gegensatz zur CDU, die halt überkonfessionell war. Und die hat sozusagen die Zeichen der Zeit erkannt. 

Köln in der Weimarer Republik / © Archiv Greven Verlag (Greven)
Köln in der Weimarer Republik / © Archiv Greven Verlag ( Greven )

DOMRADIO.DE: Adenauer hat damals die Zeit in Köln sehr geprägt. Er war Katholik. Hat man das auch seiner Politik angemerkt? 

Nonn: Das hat man seiner Politik angemerkt, zum Beispiel beim Thema Karneval. Adenauer hat den Kölner Erzbischof, Kardinal Schulte, dabei unterstützt, den Karneval zu verhindern. Der Karneval war im ersten Weltkrieg verboten. Und dann haben die Briten dieses Verbot aufrechterhalten, weil sie meinten, diese komischen Leute in Uniform seien etwas ähnliches wie paramilitärische Einheiten, die ihre Herrschaft herausfordern wollten. Und als sie gemerkt haben, das ist verhältnismäßig harmlos, war es die Kirche und war es Adenauer, der als Katholik und Zentrumsmitglied mit der Kirche eng verbandelt war, die dann versucht haben, den Karneval zu verhindern.

DOMRADIO.DE: Im Kirchlichen Anzeiger wurde damals der Karneval als "Psychose" und als ein "Bolschewismus der Straße" beschimpft. Was hat die Kirche denn so gegen den Karneval aufgebracht? 

Nonn: Der Karneval hat zwar religiöse Wurzeln - er steht in Bezug auf die Fastenzeit und Ostern, aber von diesen Wurzeln hat er sich ja sehr weit entfernt. Den Klerikalen war das ausschweifende Feiern ein Dorn im Auge und es war eben auch bürgerlichen Existenzen wie Adenauer ein Dorn im Auge, weil der Karneval ziemlich wild sein konnte und das entsprach einfach nicht den Vorstellungen von Zivilisiertheit, die Kirchenmänner oder dann gutbürgerliche Katholiken wie Adenauer offensichtlich gefährdet sahen. 

DOMRADIO.DE: Ist das auch ein Zeichen des schwindenden Einflusses der katholischen Kirche, dass sie sich damit nicht durchsetzen? 

Nonn: Definitiv. Das ist definitiv so, ja. 

DOMRADIO.DE: Der Karneval hat sich natürlich durchgesetzt. 

Nonn: Ja, die Kölner Karnevalisten haben sich durchgesetzt. Ein Beispiel: die Anti-Karnevalisten waren nicht nur Katholiken wie Adenauer, sondern auch protestantische "Spaßbremsen", wie der sozialdemokratische Polizeipräsident von Köln, der von Adenauer gewonnen wurde,  Karneval zu verbieten. Das war aber überhaupt nicht durchsetzbar. Zum Beispiel bei den Sperrstunden. Die Kneipen mussten in den tollen Tagen um 15 Uhr nachmittags zumachen. Die haben sich aber einfach nicht daran gehalten. 

DOMRADIO.DE: Was haben die Kirchen denn gemacht, um gegen diesen Schwund gegen die vielen Mischehen vorzugehen? 

Nonn: Ja, wie gesagt, es gab Vereine, die man gründete - zur Eheanbahnung von jungen Leuten, die aber offenbar nicht besonders erfolgreich gewesen sind. Man hat auch zum Beispiel angefangen, um die sinkenden Zahlen der Kirchenbesucher aufzuhalten, Heizungen in Kirchen einzubauen. Die gab es in den 20er Jahren größtenteils noch nicht. Das heißt, die Kirchen wurden jetzt beheizt. Das hat aber auch nicht wirklich funktioniert, das hat also diesen Schwund nicht wirklich aufhalten können. 

DOMRADIO.DE: Gibt es denn etwas spezifisch Kölsches in der Weimarer Republik? Was unterscheidet denn Köln von München, Berlin oder Hamburg in der Weimarer Zeit? 

Nonn: Was Köln zumindest von Berlin oder Hamburg unterscheidet, ist natürlich, dass Köln eine katholische Stadt ist. Und das hat die Stadt, genau wie München dann auch auf eine bestimmte Art und Weise geprägt und hat auch dazu geführt, das zusammen mit der Identität als Industriestadt, die Nationalsozialisten relativ lange Zeit hier nicht so erfolgreich gewesen sind wie im Reichsdurchschnitt. Während die Kommunisten dagegen wesentlich erfolgreicher waren, eben weil Köln auch eine Industriestadt gewesen ist. 

DOMRADIO.DE: Und dann nach 1933 hat man dann auch Hakenkreuzfahnen am Kölner Dom gesehen. 

Nonn: Das stimmt. 1933 haben sich die Kölner auch relativ problemlos in die neue Zeit hineingefunden. Die haben sich also mit den Nationalsozialisten durchaus arrangiert. 

DOMRADIO.DE: Ihr Buch kann man auch als ein Appell an alle Demokraten lesen, Verantwortung zu übernehmen und Politik nicht als konsumierbare Ware anzusehen, sondern etwas dafür zu tun, dass unsere Demokratie stabil bleibt. 

Nonn: Ja, das auf alle Fälle. Denn wenn wir das nicht tun, wenn wir Politik behandeln wie eine Ware in einem Ladengeschäft, dann verkennen wir das, was Politik ist. Politik ist eben nicht die hundertprozentige Erfüllung aller Kaufversprechungen, die wir in der Werbung hören, sondern Politik ist letzten Endes immer etwas, was Kompromisse von allen erfordert. Das müssen wir als Staatsbürger verstehen. 

Das Interview führte Johannes Schröer.

Quelle:
DR