"The year the music died" - das Jahr, in dem die Musik starb, so ging 2016 bereits zur Halbzeit in die Geschichte ein: Mit Prince und David Bowie gingen im Frühjahr zwei Ikonen der Popkultur; zum Jahresende folgten Leonard Cohen und George Michael. Hinzu kamen Schauspieler wie Götz George und Bud Spencer, Sportler wie Muhammad Ali - von prägenden Politikern (Hans-Dietrich Genscher, Guido Westerwelle, Schimon Peres) und Personen des öffentlichen Lebens (Elie Wiesel, Rupert Neudeck) ganz zu schweigen.
Eine Welt ohne viele
Auf Twitter bekundeten die Menschen immer wieder ihre Betroffenheit - aber auch Unmut. Dabei wurde das laufende Jahr direkt angesprochen: "2016, es ist genug!" Vielen Zeitgenossen ergeht es offenbar wie Thomas Manns "Buddenbrooks": Eine Welt ohne viele und vieles, das scheinbar selbstverständlich immer da war, wird nicht nur vorstellbar, sondern immer realer.
Mit den Idolen verabschiede sich eine ganze Epoche, so beschrieb der Kulturwissenschaftler Philipp Felsch dieses Gefühl. Den Tod des britischen Ausnahmemusikers Bowie hätten viele Menschen als plötzliches Verschwinden einer Institution erlebt, sagte er im Sommer dem "Philosophie Magazin". "Und Institutionen verschwinden eigentlich nicht einfach so."
Trauer um Kubas Ex-Präsidenten Fidel Castro
Wenn dies doch geschieht, stellt das auch andere Gewissheiten in Frage - etwa über die Rolle, die ein Verstorbener zu Lebzeiten gespielt hat. Das herausragendste Beispiel dafür war 2016 wohl der langjährige kubanische Präsident Fidel Castro, der Ende November verstarb. In Lateinamerika dominierten in der Folge Trauer und Bewunderung; andernorts gab es auch deutliche Kritik an den zahlreichen Menschenrechtsverletzungen in der Zeit seiner Regierung.
In Miami und in Spanien feierten Exilkubaner die Nachricht vom Tod des Revolutionsführers. Einigkeit bestand eigentlich nur darüber, dass Castro eine prägende Figur des vergangenen Jahrhunderts war.
Auch jenseits solcher weltweit beachteten Fälle stellten verschiedene Medien fest, dass sich die Zahl der von ihnen veröffentlichten Nachrufe gehäuft habe. Das stieß nicht nur auf Zustimmung: Der katholische Theologe Manfred Lütz mahnte, "ewige Nachrufe" dürften nicht das ewige Leben ersetzen. Er beobachte "eine nicht mehr enden wollende, völlig ritualisierte, düstere Trauerarbeit, bei der die Toten medial überhaupt nicht mehr in Ruhe gelassen werden", sagte er der "Süddeutschen Zeitung"; ein "übertriebenes Pathos" und eine "zur Schau gestellte Hoffnungslosigkeit".
"Rest-in-Peace-Festival 2016"
Andere sehen offenbar gerade in spontanen Bekundungen von Beileid und Betroffenheit ein Zeichen der Hoffnung. Der römische Kurienkardinal Gianfranco Ravasi twitterte an den Todestagen von Cohen, Bowie und Prince jeweils ein Songzitat. Fans richteten Petitionen an Gott mit der Bitte, er möge ihr Idol zurückbringen.
Das Magazin der "Süddeutschen Zeitung" gestaltete ein Plakat zum "Rest-in-Peace-Festival 2016" und verbreitete es mit dem Kommentar: "Das beste Festival des Jahres. Leider findet es nicht auf der Erde statt." Spätestens nach dem Tod George Michaels erschien der Hinweis auf die himmlische Band, die Gott offenbar in diesem Jahr zusammenstelle, in den Sozialen Netzwerken beinahe so ritualisiert wie das Schlagwort #rip für "rest in peace" (dt. ruhe in Frieden).
Kitschig oder kreativ? Albern oder angemessen? Tobias Pehle vom Verband für Gedenkkultur wirbt für Gelassenheit. "Vielleicht geht der Tod eines Künstlers manchem wirklich so nahe", meint er. Zudem seien Orte und Rituale des Abschieds stets wichtig, um Trauer zu bewältigen.
Dabei kann sich hinter dem von manchen Zeitgenossen Belächelten durchaus ein tieferer Sinn verbergen, gab die evangelische Religionswissenschaftlerin Gesine Palmer unlängst in der "Welt" zu bedenken. Wenn Menschen "Unmengen von Blumen" niederlegten - sei es, um der Toten eines Anschlags zu gedenken oder eines verstorbenen Helden der Popkultur, setzten sie sich mit der Endlichkeit des irdischen Daseins auseinander. "Alle diese Menschen haben sich mutig dem mächtigsten aller Gegner entgegengestellt", so Palmer: "dem furchterregenden Tod, den wir viel zu angstvoll in aller Regel beschweigen".